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Warum Parkhäuser ein wichtiges Kulturgut sind

Chefredakteur
Über das Haus, in dem das Auto wohnt, wird viel zu wenig nachgedacht. Dabei gehören Garagen zu den wichtigsten Orten der Moderne. Die schönste steht in Berlin, die hässlichste in Singapur.

Die Welt: Kalt, dunkel, viereckig, fensterlos: Was ist so schön an einer Garage?

Niklas Maak: Garagen haben einen miserablen Ruf. Wer sein Auto in die Garage fährt, gilt als Spießer, der Angst hat, dass sein Auto gestohlen wird oder rostet oder eine Delle kriegt. Kulturkritiker lieben es, zu betonen, dass mit einer Gesellschaft, in der die Garagen größer sind als die Schlafzimmer, etwas nicht in Ordnung ist. Dabei gehört die Garage zu den interessantesten und wichtigsten Orten der Moderne. Eine Garage ist, wenn das Auto rausgefahren wird, der offenste und leerste Ort des Hauses. Die Garage ist das Haus, das noch nicht mit Möbeln vollgestellt ist und alles werden kann. In der Garage können Partys stattfinden, zehn Kinder übernachten, sie kann eine Werkstatt werden. Die Garage ist sozusagen der mobilste Ort der Immobilie, der Ort, an dem bedeutende Dinge ihre erste Form annehmen – die Bungalow-Garage etwa, in der Steve Jobs in den siebziger Jahren die ersten Apple-Rechner zusammenschraubte. Deswegen ist „Garage“ ja auch ein ästhetischer Begriff – es gibt „Garage Rock“ und „Garage Punk“, die sich zum Mainstream-Pop verhalten wie eine Garage zum Wohnzimmer: rauer, offener, härter, improvisierter, experimenteller, wacher, weniger gepolstert und edelholzig. Und manchmal ist gerade die Garage auch der Ort, an dem das städtische Leben in die Einfamilienhaussiedlungen zurückkommt. In seinem Buch „Magical Urbanism“ hat Mike Davis beschrieben, wie vor allem lateinamerikanische Einwanderer, die sich in heruntergekommenen Vororthäusern niederlassen, in den Garagen Werkstätten und kleine Läden einrichten und so die lebendige, dichte kleinstädtische Kleingewerbestruktur zurückbringen, die diesen mit ihrer modernen Suburbanisierung verloren ging.

Die Welt: Sollte dann nicht das ganze Haus mehr wie eine Garage sein?

Das ist das perfekte Auto für die Parkplatzsuche

Bei der Einfahrt ins Parkhaus wird nur ein freier Platz angezeigt. Da heißt es kurbeln und suchen und hoffen, dass einem der nächste nicht den Platz wegschnappt. Mit diesem Auto ist das kein Problem.

Quelle: Zoomin.TV

Niklas Maak: In gewisser Weise ja – sozusagen als Gegenbewegung zu dieser Tendenz, aus Autos rollende Wohnzimmer zu machen. Ein Renault 4 oder ein Porsche 911 von 1964 waren technische Geräte, es gab viel Metall, viele Hebel, die den Fahrer wach hielten.

Das Auto war einst Symbol des Aufbruchs

Wo früher mit dünnen Lenkrädern, dürren Schaltknüppeln, kaltem Kunstleder und viel Blech das Ideal des souveränen aktiven Maschinisten verlangt wurde, herrscht im Inneren der aktuellen Autos dagegen eine eigenartige Atmosphäre dämmrig sitzeckenhafter Gemütlichkeit: Plüschsessel, tausend Knöpfe, Lämpchen, Holzfurnier – das Auto, einst Symbol des Aufbruchs und Versprechen einer Flucht aus immobilisierten Verhältnissen, führt das Wohnzimmer jetzt immer bei sich. In modernen Autos ist es so behaglich, dass man beim Fahren einzuschlafen droht – weswegen viele Wagen mit Müdigkeitserkennern und Rüttelsitzen ausgeliefert werden. So was war in einem alten 356er nicht nötig. Das passende Haus zu dessen Ästhetik der Wachheit ist Pierre Koenigs Bailey House in Los Angeles.

Wenn das Auto Teil der Designerwohnung ist. Der Architekt und Designer Holger Schubert hat für sich und seinen Ferrari 512 Berlinetta Boxer BBi, Baujahr 1984, eine traumhafte Wohnung in Los Angeles gebaut
Wenn das Auto Teil der Designerwohnung ist. Der Architekt und Designer Holger Schubert hat für sich und seinen Ferrari 512 Berlinetta Boxer BBi, Baujahr 1984, eine traumhafte Wohnu...ng in Los Angeles gebaut
Quelle: Los Angeles Times/Polaris/laif

Die Garage ist halb offen, fast ein Carport, und geht, nur von Glas getrennt, ins Wohnzimmer über. Von der Küche und vom Bett aus sieht man das Auto wie ein ständiges Versprechen des möglichen Aufbruchs in seinem Unterstand warten – so wie der amerikanische Cowboy der frühen Tage sein Pferd immer im Auge hatte, wenn er am Lagerfeuer rastete. Die amerikanische Bungalow-Architektur ist ja sowieso eine Art abstrakte Beschwörung des offenen, nicht immobilisierten, nicht aussichtslos vermauerten Lebens, das die Trapper führten und das Hollywood zur selben Zeit in zahllosen Western mythologisierte: Der offene Kamin erinnerte ans Lagerfeuer, der Pool an die Tränke, der Nachfolger des Pferdes hieß Mustang und wartete in der Garage, die immer breiter wurde und das Versprechen von Aufbruch und Mobilität in der Immobilie wachhielt. Die Garage ist der Raum des Hauses, in dem die Möglichkeit eines anderen Lebens sichtbar wird. Das Aufbruchszimmer.

„Die Garage ist das Haus, das noch nicht mit Möbeln vollgestellt ist und alles werden kann.“
Niklas Maak, Kunst- und Architekturkritiker

Die Welt: Was ist die wichtigste Garage der Moderne?

Niklas Maak: Vermutlich die gerade unter Denkmalschutz gestellte Garage, in der Steve Jobs seinen ersten Computer baute. Dass eine Garage zu einem der wichtigsten Denkmäler Kaliforniens erklärt wurde, wirkt wie eine wehmütige Erinnerung an jene Tage, als man hinter unzugänglichen, fensterlosen Räumen weder Terroristen noch Verteidigungs- oder Spähanstrengungen der Gegenseite vermuten musste, sondern ein Labor des amerikanischen Pioniergeists.

Die wichtigste Garage der jüngeren Geschichte: In dieser kleinen Garage im kalifornischen Los Altos legten Steve Jobs und Co. den Grundstein für den Erfolg von Apple. Das einstige Wohnhaus der Eltern von Steve Jobs wurde samt Garage unter Denkmalschutz gestellt
Die wichtigste Garage der jüngeren Geschichte: In dieser kleinen Garage im kalifornischen Los Altos legten Steve Jobs und Co. den Grundstein für den Erfolg von Apple. Das einstige ...Wohnhaus der Eltern von Steve Jobs wurde samt Garage unter Denkmalschutz gestellt
Quelle: picture alliance / dpa

Die Welt: Gibt es nicht auch sehr deprimierende Garagen?

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Niklas Maak: Und wie. Vor allem in China. Amerikanische Fertighäuser sind in der chinesischen Mittelschicht ja sehr beliebt. Diese Häuser werden automatisch mit Doppelgarage geliefert. Die Doppelgarage wird damit sinnlos. In der bei Peking gebauten Siedlung „Orange County China“ müssen deswegen Angestellte in die Garage einziehen. Fenster baut man ihnen aber nicht ein. So bleibt den Garagenbewohnern nichts anderes übrig, als zum Lüften an heißen Tagen eine Wand, das Tor, hochzuklappen und so gewissermaßen auf der Straße zu leben.

Die Welt: Was ist die geschmackloseste Garage?

Niklas Maak: Die Hamilton Scott Apartments in Singapur. Die Autos werden in den „En Suite Sky Garagen” des 30-stöckigen Hauses per Lastenlift in die Höhe transportiert und quasi in der Wohnung geparkt. Statt vor der Tür den sofortigen Aufbruch zu versprechen, werden sie zu Möbeln oder melancholisch still gestellten Skulpturen – genau falsch. Anderswo überlegen Architekten, ob man nicht Parkhäuser umnutzen kann, indem man den Außenstellplätzen, wo man Tageslicht hat, kleine Wohnhäuser baut. Das ist viel interessanter.

Die Welt: Die mutigste Garage?

Niklas Maak: Eigentlich das Parkhaus, das im Mai 1901 am Londoner Picadilly Circus eröffnet wurde. Es war das erste Parkhaus, das sich über sieben Etagen erstreckte. Wenn das 19. Jahrhundert das Jahrhundert der horizontalen Expansion war, das Jahrhundert der Eisenbahn und der Eroberung der Kolonien, dann waren die Pioniere des 20. Jahrhunderts Helden der vertikalen Expansion: Hochhausbauer, Raketentechniker und Astronauten. Dass man in einer Londoner Großgarage schon 1901 mit dem Auto auf einer Rampe gen Himmel rasen konnte, war eine futuristische Vorwegnahme dieses Richtungswechsels.

Die Kant-Garage in Berlin von 1930 ist die älteste erhaltene Hochgarage Europas, ein Monument des Neuen Bauens in der Weimarer Republik
Die Kant-Garage in Berlin von 1930 ist die älteste erhaltene Hochgarage Europas, ein Monument des Neuen Bauens in der Weimarer Republik
Quelle: ullstein bild

Die Welt: Und die schönste?

Niklas Maak: Die schönsten historischen Garagen sind die Kant-Garagen in Berlin von 1930, die älteste erhaltene Hochgarage Europas, ein Monument des Neuen Bauens in der Weimarer Republik. Einer der Architekten war Richard Paulick, der am Bauhaus Assistent von Walter Gropius war und 1933 vor den Nationalsozialisten fliehen musste. Dass dieses Haus für 300 Autos, das auch ein Denkmal eines offenen, neuen, zukunftsfreudigen demokratischen Deutschlands war, trotz Denkmalschutz aus wirtschaftlichen Gründen abgerissen werden soll, nachdem die Besitzer, die Pepper Immobilien, es jahrelang herunterkommen ließen, ist einer der vielen unsäglichen Architekturskandale in Berlin. Der interessanteste neue Garagenbau ist ein Parkhaus in Miami Beach, das 1111 Lincoln Road von Herzog de Meuron, eine offene Struktur, in der sich neben 300 Stellplätzen auch Bars, Restaurants und Veranstaltungsflächen befinden und Palmen wachsen. Sozusagen ein „Parkhaus“ im Wortsinn, eine Mischung aus einem vertikalen Park und einem Haus, durch dessen Räume man fahren kann. Mit 65 Millionen Euro Baukosten vermutlich auch das teuerste und dekadenteste Parkhaus aller Zeiten.

Niklas Maak ist Architekturkritiker und Autofan. Er leitet das Kunstressort der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

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