Ver­fah­rens­in­for­ma­ti­on

In dem Re­vi­si­ons­ver­fah­ren geht es um die Fra­ge, ob be­am­te­te Leh­rer eben­so wie ih­re Kol­le­gen, die in ei­nem Ta­rif­be­schäf­tig­ten­ver­hält­nis ste­hen, an Streiks teil­neh­men dür­fen. In der bun­des­deut­schen Rechts­ord­nung ist bis­lang ein um­fas­sen­des Streik­ver­bot für Be­am­te an­er­kannt. Dies gilt auch für Be­am­te, die kei­ne ho­heits­recht­li­chen Be­fug­nis­se aus­üben. Dies be­ruht auf der An­nah­me, dass Be­am­ten­streiks mit ver­fas­sungs­recht­li­chen ge­währ­leis­te­ten Struk­tur­prin­zi­pi­en des Be­rufs­be­am­ten­tums, et­wa den Dienst­pflich­ten zur be­son­de­ren Loya­li­tät, zum vol­len be­ruf­li­chen Ein­satz und zur un­ei­gen­nüt­zi­gen Amts­füh­rung un­ver­ein­bar sind. Auch sind Be­sol­dung und Ar­beits­be­din­gun­gen der Be­am­ten kei­ner ta­rif­ver­trag­li­chen Re­ge­lung zu­gäng­lich; sie wer­den ein­sei­tig vom Dienst­herrn fest­ge­legt. Die Be­sol­dung un­ter­liegt dem Vor­be­halt des Ge­set­zes. Dem­ge­gen­über hat der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te (EGMR) nun­mehr der Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on (EM­RK) ein Streik­recht für An­ge­hö­ri­ge des öf­fent­li­chen Diens­tes ent­nom­men. Die­ses kann nur den­je­ni­gen An­ge­hö­ri­gen ge­ne­rell ver­wehrt wer­den, die ho­heit­lich im Na­men des Staa­tes tä­tig sind.


Da­her wird das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt die Fra­gen zu be­ant­wor­ten ha­ben, ob die­se Recht­spre­chung auch deut­sche Be­am­te be­trifft und, falls dies zu be­ja­hen ist, ob an dem um­fas­sen­den Streik­ver­bot für Be­am­te fest­zu­hal­ten ist.


Pres­se­mit­tei­lung Nr. 16/2014 vom 27.02.2014

Be­am­ten­recht­li­ches Streik­ver­bot be­an­sprucht wei­ter­hin Gel­tung; Ge­setz­ge­ber muss die Kol­li­si­on mit der Eu­ro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on auf­lö­sen

Be­am­te­te Leh­rer dür­fen sich auch wei­ter­hin nicht an Streiks be­tei­li­gen, zu de­nen die Ge­werk­schaf­ten ih­re an­ge­stell­ten Kol­le­gen auf­ru­fen. Dies hat das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt in Leip­zig heu­te ent­schie­den.


Die Klä­ge­rin, ei­ne Leh­re­rin, die in ei­nem Be­am­ten­ver­hält­nis auf Le­bens­zeit mit dem be­klag­ten Land stand, blieb im Jahr 2009 drei­mal dem Un­ter­richt fern, um an Warn­streiks teil­zu­neh­men, zu de­nen die Ge­werk­schaft GEW wäh­rend der auch von ihr ge­führ­ten Ta­rif­ver­hand­lun­gen auf­ge­ru­fen hat­te. Die Ge­werk­schaft woll­te  ih­rer For­de­rung nach ei­ner Ge­halts­er­hö­hung von 8 % und de­ren an­schlie­ßen­der Über­nah­me in die Be­am­ten­be­sol­dung Nach­druck ver­lei­hen. Die Klä­ge­rin hat­te ihr Fern­blei­ben der Schul­lei­te­rin an­ge­kün­digt, die sie auf das be­am­ten­recht­li­che Streik­ver­bot hin­ge­wie­sen hat­te.


Die Be­klag­te ver­häng­te ge­gen die Klä­ge­rin durch Dis­zi­pli­nar­ver­fü­gung ei­ne Geld­bu­ße von 1 500 € we­gen un­er­laub­ten Fern­blei­bens vom Dienst. Die An­fech­tungs­kla­ge ist in der Be­ru­fungs­in­stanz vor dem Ober­ver­wal­tungs­ge­richt er­folg­los ge­blie­ben. Die Re­vi­si­on der Klä­ge­rin hat das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt dem Grun­de nach zu­rück­ge­wie­sen; es hat je­doch die Geld­bu­ße auf 300 € er­mä­ßigt. Der Ent­schei­dung lie­gen fol­gen­de Er­wä­gun­gen zu­grun­de:


Nach deut­schem Ver­fas­sungs­recht gilt für al­le Be­am­ten un­ab­hän­gig von ih­rem Tä­tig­keits­be­reich ein ge­ne­rel­les sta­tus­be­zo­ge­nes Streik­ver­bot, das als her­ge­brach­ter Grund­satz im Sin­ne des Art. 33 Abs. 5 GG Ver­fas­sungs­rang ge­nie­ßt. Die­ses Streik­ver­bot gilt auch für Be­am­te au­ßer­halb des en­ge­ren Be­reichs der Ho­heits­ver­wal­tung, der nach Art. 33 Abs. 4 GG in der Re­gel Be­am­ten vor­be­hal­ten ist. In der deut­schen Rechts­ord­nung stellt das Streik­ver­bot ei­nen we­sent­li­chen Be­stand­teil des in sich aus­ta­rier­ten spe­zi­fisch be­am­ten­recht­li­chen Ge­fü­ges von Rech­ten und Pflich­ten dar. Es ist Sa­che der Dienst­her­ren, die­se Rech­te und Pflich­ten un­ter Be­ach­tung ins­be­son­de­re der ver­fas­sungs­recht­li­chen Bin­dun­gen zu kon­kre­ti­sie­ren und die Ar­beits­be­din­gun­gen der Be­am­ten fest­zu­le­gen.


Dem­ge­gen­über ent­nimmt der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te (EGMR) als au­then­ti­scher In­ter­pret der Eu­ro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on (EM­RK) de­ren Art. 11 Abs. 1 ein Recht der Staats­be­diens­te­ten auf Ta­rif­ver­hand­lun­gen über die Ar­beits­be­din­gun­gen und ein dar­an an­knüp­fen­des Streik­recht. Die­se Rech­te kön­nen von den Mit­glied­staa­ten des Eu­ro­pa­rats nach Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EM­RK nur für An­ge­hö­ri­ge der Streit­kräf­te, der Po­li­zei und der ho­heit­li­chen Staats­ver­wal­tung ge­ne­rell aus­ge­schlos­sen wer­den. Nach der Recht­spre­chung des EGMR ge­hö­ren nur sol­che Staats­be­diens­te­te - un­ab­hän­gig von ih­rem Rechts­sta­tus - der ho­heit­li­chen Staats­ver­wal­tung an, die an der Aus­übung ge­nu­in ho­heit­li­cher Be­fug­nis­se zu­min­dest be­tei­ligt sind. Die deut­schen öf­fent­li­chen Schu­len und die dort un­ter­rich­ten­den, je nach Bun­des­land teils be­am­te­ten, teils ta­rif­be­schäf­tig­ten Lehr­kräf­te, ge­hö­ren nicht zur Staats­ver­wal­tung im Sin­ne der EM­RK. Die Bun­des­re­pu­blik ist völ­ker­ver­trags- und ver­fas­sungs­recht­lich ver­pflich­tet, Art. 11 EM­RK in sei­ner Aus­le­gung durch den EGMR in der deut­schen Rechts­ord­nung Gel­tung zu ver­schaf­fen.


Da­mit ent­hält die deut­sche Rechts­ord­nung der­zeit ei­nen in­halt­li­chen Wi­der­spruch in Be­zug auf das Recht auf Ta­rif­ver­hand­lun­gen und das Streik­recht der­je­ni­gen Be­am­ten, die au­ßer­halb der ho­heit­li­chen Staats­ver­wal­tung tä­tig sind. Zur Auf­lö­sung die­ser Kol­li­si­ons­la­ge zwi­schen deut­schem Ver­fas­sungs­recht und der EM­RK ist der Bun­des­ge­setz­ge­ber be­ru­fen, der nach Art. 33 Abs. 5, Art. 74 Nr. 27 GG das Sta­tus­recht der Be­am­ten zu re­geln und fort­zu­ent­wi­ckeln hat. Hier­für ste­hen ihm vor­aus­sicht­lich ver­schie­de­ne Mög­lich­kei­ten of­fen. So könn­te er et­wa die Be­rei­che der ho­heit­li­chen Staats­ver­wal­tung, für die ein ge­ne­rel­les Streik­ver­bot gilt, be­stim­men und für die an­de­ren Be­rei­che der öf­fent­li­chen Ver­wal­tung die ein­sei­ti­ge Re­ge­lungs­be­fug­nis der Dienst­her­ren zu­guns­ten ei­ner er­wei­ter­ten Be­tei­li­gung der Be­rufs­ver­bän­de der Be­am­ten ein­schrän­ken. Die Zu­er­ken­nung ei­nes Streik­rechts für die in die­sen Be­rei­chen tä­ti­gen Be­am­ten wür­de ei­nen Be­darf an Än­de­run­gen an­de­rer, den Be­am­ten güns­ti­ger Re­ge­lun­gen, et­wa im Be­sol­dungs­recht, nach sich zie­hen.


Für die Über­gangs­zeit bis zu ei­ner bun­des­ge­setz­li­chen Re­ge­lung ver­bleibt es bei der Gel­tung des ver­fas­sungs­un­mit­tel­ba­ren Streik­ver­bots. Hier­für ist von Be­deu­tung, dass den Ta­rif­ab­schlüs­sen für die Ta­rif­be­schäf­tig­ten des öf­fent­li­chen Diens­tes auf­grund des Ali­men­ta­ti­ons­grund­sat­zes nach Art. 33 Abs. 5 GG ma­ß­ge­ben­de Be­deu­tung für die Be­am­ten­be­sol­dung zu­kommt. Die Be­sol­dungs­ge­setz­ge­ber im Bund und in den Län­dern sind ver­fas­sungs­recht­lich ge­hin­dert, die Be­am­ten­be­sol­dung von der Ein­kom­mens­ent­wick­lung, die in den Ta­rif­ab­schlüs­sen zum Aus­druck kommt, ab­zu­kop­peln.


BVer­wG 2 C 1.13 - Ur­teil vom 27. Fe­bru­ar 2014

Vor­in­stan­zen:

OVG Müns­ter, 3d A 317/11.O - Ur­teil vom 07. März 2012 -

VG Düs­sel­dorf, 31 K 3904/10.O - Ur­teil vom 15. De­zem­ber 2010 -


Be­schluss vom 02.01.2013 -
BVer­wG 2 B 46.12ECLI:DE:BVer­wG:2013:020113B2B46.12.0

  • Zi­tier­vor­schlag

Be­schluss

BVer­wG 2 B 46.12

  • VG Düs­sel­dorf - 15.12.2010 - AZ: VG 31 K 3904/10.O
  • OVG für das Land Nord­rhein-West­fa­len - 07.03.2012 - AZ: OVG 3d A 317/11.O

In der Ver­wal­tungs­streit­sa­che hat der 2. Se­nat des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts
am 2. Ja­nu­ar 2013
durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Dom­gör­gen und
die Rich­ter am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Dr. Heitz und Dr. von der Wei­den
be­schlos­sen:

  1. Die Ent­schei­dung des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts für das Land Nord­rhein-West­fa­len über die Nicht­zu­las­sung der Re­vi­si­on ge­gen sein Ur­teil vom 7. März 2012 wird auf­ge­ho­ben.
  2. Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.
  3. Die Ent­schei­dung über die Kos­ten des Be­schwer­de­ver­fah­rens folgt der Kos­ten­ent­schei­dung in der Haupt­sa­che.

Grün­de

1 Die Re­vi­si­on der Klä­ge­rin ist zu­zu­las­sen, weil die Rechts­sa­che grund­sätz­li­che Be­deu­tung im Sin­ne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 Vw­GO, § 67 Satz 1 LDG NRW hat. In dem Re­vi­si­ons­ver­fah­ren kann ge­klärt wer­den, ob der Recht­spre­chung des Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hofs für Men­schen­rech­te zum Streik­recht für An­ge­hö­ri­ge des öf­fent­li­chen Diens­tes (vgl. Ur­teil vom 21. April 2009 - 68959/01 - NZA 2010, 1423) Be­deu­tung für die Gel­tung des ver­fas­sungs­recht­li­chen Streik­ver­bots für Be­am­te oder für die dis­zi­pli­nar­recht­li­che Sank­tio­nie­rung von Ver­stö­ßen ge­gen das Streik­ver­bot zu­kommt.

Rechts­be­helfs­be­leh­rung


Das Be­schwer­de­ver­fah­ren wird als Re­vi­si­ons­ver­fah­ren un­ter dem Ak­ten­zei­chen BVer­wG 2 C 1.13 fort­ge­setzt. Der Ein­le­gung ei­ner Re­vi­si­on durch den Be­schwer­de­füh­rer be­darf es nicht.
Die Re­vi­si­on ist in­ner­halb ei­nes Mo­nats nach Zu­stel­lung die­ses Be­schlus­ses zu be­grün­den. Die Be­grün­dung ist bei dem Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt, Sim­son­platz 1, 04107 Leip­zig, schrift­lich oder in elek­tro­ni­scher Form (Ver­ord­nung vom 26. No­vem­ber 2004, BGBl I S. 3091) ein­zu­rei­chen.
Für die Be­tei­lig­ten be­steht Ver­tre­tungs­zwang; dies gilt auch für die Be­grün­dung der Re­vi­si­on. Die Be­tei­lig­ten müs­sen sich durch Be­voll­mäch­tig­te im Sin­ne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 Vw­GO ver­tre­ten las­sen.

Ur­teil vom 27.02.2014 -
BVer­wG 2 C 1.13ECLI:DE:BVer­wG:2014:270214U2C1.13.0

Leit­sät­ze:

Das be­am­ten­recht­li­che Ver­bot, an kol­lek­ti­ven Kampf­maß­nah­men (Streiks) teil­zu­neh­men, gilt als her­ge­brach­ter Grund­satz nach Art. 33 Abs. 5 GG ver­fas­sungs­un­mit­tel­bar für al­le Be­am­ten un­ab­hän­gig von ih­rem Auf­ga­ben­be­reich.

Ein um­fas­sen­des Recht auf Ta­rif­ver­hand­lun­gen und kol­lek­ti­ve Kampf­maß­nah­men ist mit tra­gen­den Struk­tur­prin­zi­pi­en der durch Art. 33 Abs. 4 und 5 GG ge­währ­leis­te­ten In­sti­tu­ti­on des Be­rufs­be­am­ten­tums un­ver­ein­bar.

Art. 11 EM­RK in sei­ner bin­den­den Aus­le­gung durch den Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te (EGMR) ge­währ­leis­tet al­len An­ge­hö­ri­gen des öf­fent­li­chen Diens­tes, die nicht in den Streit­kräf­ten, der Po­li­zei und der ge­nui­nen Ho­heits­ver­wal­tung tä­tig sind, so­wie ih­ren Ge­werk­schaf­ten ein Recht auf Kol­lek­tiv­ver­hand­lun­gen und dar­auf be­zo­ge­ne kol­lek­ti­ve Kampf­maß­nah­men.

Das sta­tus­be­zo­ge­ne Ver­bot nach Art. 33 Abs. 5 GG und die funk­ti­ons­be­zo­ge­nen Ge­währ­leis­tun­gen nach Art.11 EM­RK sind in Be­zug auf Be­am­te, die au­ßer­halb der ge­nui­nen Ho­heits­ver­wal­tung ein­ge­setzt sind, in­halt­lich mit­ein­an­der un­ver­ein­bar. Es ist Auf­ga­be des Ge­setz­ge­bers, die­se Kol­li­si­ons­la­ge auf­zu­lö­sen und im We­ge der prak­ti­schen Kon­kor­danz ei­nen Aus­gleich her­bei­zu­füh­ren.

Ei­ne Dis­zi­pli­nar­ver­fü­gung er­le­digt sich durch das Aus­schei­den des ge­ma­ß­re­gel­ten Be­am­ten aus dem Be­am­ten­ver­hält­nis.

  • Rechts­quel­len
  • Zi­tier­vor­schlag

Ur­teil

BVer­wG 2 C 1.13

  • VG Düs­sel­dorf - 15.12.2010 - AZ: VG 31 K 3904/10.O
  • OVG Müns­ter - 07.03.2012 - AZ: OVG 3d A 317/11.O

In der Ver­wal­tungs­streit­sa­che hat der 2. Se­nat des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 27. Fe­bru­ar 2014
durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Dom­gör­gen
und die Rich­ter am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Dr. Heitz, Dr. von der Wei­den,
Dr. Har­tung und Dol­lin­ger
für Recht er­kannt:

  1. Die Re­vi­si­on der Klä­ge­rin ge­gen das Ur­teil des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts für das Land Nord­rhein-West­fa­len vom 7. März 2012 wird mit der Ma­ß­ga­be zu­rück­ge­wie­sen, dass fest­ge­stellt wird, dass die Dis­zi­pli­nar­ver­fü­gung der Be­zirks­re­gie­rung Köln vom 10. Mai 2010 dem Grun­de nach recht­mä­ßig war.
  2. Die Klä­ge­rin trägt drei Vier­tel, der Be­klag­te trägt ein Vier­tel der Kos­ten des Ver­fah­rens.

Grün­de

I

1 Die Klä­ge­rin war bis zu ih­rem Aus­schei­den wäh­rend des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens Leh­re­rin im Be­am­ten­ver­hält­nis auf Le­bens­zeit im Dienst des be­klag­ten Lan­des.

2 Im Ja­nu­ar und Fe­bru­ar 2009 nahm die Klä­ge­rin als Mit­glied der Ge­werk­schaft Er­zie­hung und Wis­sen­schaft (GEW) in­ner­halb von zwei Wo­chen drei­mal an Warn­streiks teil, zu de­nen die GEW wäh­rend der Ta­rif­ver­hand­lun­gen für den öf­fent­li­chen Dienst auf­ge­ru­fen hat­te. Die Ge­werk­schaft for­der­te ei­ne Ge­halts­er­hö­hung für ta­rif­be­schäf­tig­te Leh­rer und streb­te die Über­nah­me des Ta­rif­ab­schlus­ses für die Be­am­ten­be­sol­dung an. Die Klä­ge­rin hat­te ih­re Teil­nah­me an den Warn­streiks vor­ab der Schul­lei­tung an­ge­kün­digt. Die­se hat­te sie dar­auf hin­ge­wie­sen, dass ihr als Be­am­tin kein Streik­recht zu­ste­he. An den drei Streik­ta­gen ver­säum­te die Klä­ge­rin ins­ge­samt zwölf Un­ter­richts­stun­den.

3 Aus die­sem Grund wur­de sie durch Dis­zi­pli­nar­ver­fü­gung mit ei­ner Geld­bu­ße von 1 500 € be­legt. Das Ver­wal­tungs­ge­richt hat die Ver­fü­gung auf­ge­ho­ben, weil Ver­stö­ße be­am­te­ter Leh­rer ge­gen das Streik­ver­bot auf­grund der Recht­spre­chung des Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hofs für Men­schen­rech­te (EGMR) zur Zu­läs­sig­keit von Streiks im öf­fent­li­chen Dienst nicht mehr dis­zi­pli­nar­recht­lich sank­tio­niert wer­den könn­ten. Auf die Be­ru­fung des Be­klag­ten hat das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt die Kla­ge aus im We­sent­li­chen fol­gen­den Grün­den ab­ge­wie­sen:

4 Die Teil­nah­me an den Warn­streiks stel­le ein Dienst­ver­ge­hen dar, weil es Be­am­ten ge­ne­rell ver­bo­ten sei, zur För­de­rung der Ar­beits­be­din­gun­gen kol­lek­ti­ve Kampf­maß­nah­men zu er­grei­fen oder zu un­ter­stüt­zen. Die­ses Ver­bot stel­le ei­nen un­mit­tel­bar gel­ten­den her­ge­brach­ten Grund­satz des Be­rufs­be­am­ten­tums dar, der auch oh­ne ge­setz­li­che Ver­bots­re­ge­lung von al­len Be­am­ten zu be­ach­ten sei. Für Ta­rif­ver­hand­lun­gen und dar­auf be­zo­ge­ne Streiks sei kein Raum, weil Be­sol­dung und sons­ti­ge Ar­beits­be­din­gun­gen der Be­am­ten von den Dienst­herrn ein­sei­tig fest­ge­legt wür­den.

5 Die Zu­läs­sig­keit kol­lek­ti­ver Kampf­maß­nah­men sei mit der Rechts­na­tur des Be­am­ten­ver­hält­nis­ses als ei­nes auf Le­bens­zeit an­ge­leg­ten öf­fent­lich-recht­li­chen Dienst- und Treue­ver­hält­nis­ses un­ver­ein­bar. Der­ar­ti­ge Maß­nah­men zer­stör­ten das aus­ta­rier­te Ge­fü­ge von Rech­ten und Pflich­ten, das durch die her­ge­brach­ten Grund­sät­ze des Be­rufs­be­am­ten­tums ver­fas­sungs­recht­lich vor­ge­ge­ben sei. Da­nach sei­en Be­am­te ver­pflich­tet, dem Dienst­herrn ih­re ge­sam­te Ar­beits­kraft wäh­rend des Be­rufs­le­bens zur Ver­fü­gung zu stel­len und die ih­nen über­tra­ge­nen Auf­ga­ben un­ei­gen­nüt­zig und mit vol­lem Ein­satz zu er­fül­len. Da­für stel­le ih­nen der Dienst­herr le­bens­lang die Mit­tel für ei­ne dem Amt an­ge­mes­se­ne Le­bens­füh­rung zur Ver­fü­gung. Die­se Rechts­grund­sät­ze be­an­spruch­ten für al­le Be­am­ten­ver­hält­nis­se glei­cher­ma­ßen Gel­tung; ei­ne Dif­fe­ren­zie­rung nach Ver­wal­tungs­zwei­gen und Auf­ga­ben­be­rei­chen sei aus­ge­schlos­sen.

6 An die­ser Rechts­la­ge än­de­re die neue­re Recht­spre­chung des EGMR zum Recht der au­ßer­halb der Ho­heits­ver­wal­tung tä­ti­gen An­ge­hö­ri­gen des öf­fent­li­chen Diens­tes auf Ta­rif­ver­hand­lun­gen und kol­lek­ti­ve Kampf­maß­nah­men auch dann nichts, wenn sie auf deut­sche Be­am­te an­wend­bar sein soll­te. Bei der dann be­stehen­den Kol­li­si­on zwi­schen Ver­fas­sungs- und Kon­ven­ti­ons­recht ha­be das Grund­ge­setz Vor­rang vor der Eu­ro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on, die im Rang ei­nes Bun­des­ge­set­zes ste­he. Das um­fas­sen­de Ver­bot für al­le Be­am­ten, sich an kol­lek­ti­ven Kampf­maß­nah­men zu be­tei­li­gen, stel­le ein un­ver­zicht­ba­res Struk­tur­prin­zip der durch Art. 33 Abs. 5 GG ge­währ­leis­te­ten In­sti­tu­ti­on Be­rufs­be­am­ten­tum dar.

7 Mit der Re­vi­si­on macht die Klä­ge­rin gel­tend, es sei im Hin­blick auf die ver­fas­sungs- und kon­ven­ti­ons­recht­lich ge­schütz­te Ko­ali­ti­ons­frei­heit nicht zu recht­fer­ti­gen, auch den­je­ni­gen Be­am­ten das Streik­recht zu ver­wei­gern, die au­ßer­halb der Ho­heits­ver­wal­tung tä­tig sei­en. Au­ßer­halb die­ses Be­reichs ent­schie­den die Dienst­herrn oh­ne recht­li­che Bin­dun­gen nach po­li­ti­schen und fis­ka­li­schen Ge­sichts­punk­ten, ob sie Be­am­te oder Ta­rif­be­schäf­tig­te für die Auf­ga­ben­er­fül­lung ein­setz­ten.

8 Die Klä­ge­rin be­an­tragt,
das Ur­teil des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts für das Land Nord­rhein-West­fa­len vom 7. März 2012 auf­zu­he­ben und die Be­ru­fung des Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ver­wal­tungs­ge­richts Düs­sel­dorf vom 15. De­zem­ber 2010 zu­rück­zu­wei­sen.

9 Der Be­klag­te be­an­tragt,
die Re­vi­si­on zu­rück­zu­wei­sen.

10 Der Be­klag­te und der Ver­tre­ter des Bun­des­in­ter­es­ses, der ei­ne Stel­lung­nah­me des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums des In­nern ein­ge­reicht hat, ver­tei­di­gen das Be­ru­fungs­ur­teil.

II

11 Die Re­vi­si­on der Klä­ge­rin ist im We­sent­li­chen nicht be­grün­det. Das Be­ru­fungs­ur­teil ver­stö­ßt nicht ge­gen re­vi­si­bles Recht, so­weit das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt die an­ge­foch­te­ne Dis­zi­pli­nar­ver­fü­gung als dem Grun­de nach recht­mä­ßig an­ge­se­hen hat. Da­ge­gen er­weist sich die ver­häng­te Geld­bu­ße bei An­wen­dung der re­vi­si­blen Be­mes­sungs­vor­ga­ben des § 13 Abs. 2 Satz 1 bis 4 des Dis­zi­pli­nar­ge­set­zes für das Land Nord­rhein-West­fa­len vom 16. No­vem­ber 2004 - LDG NRW - (GV. NRW. S. 624) als un­an­ge­mes­sen hoch.

12 1. Die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne Sach­ent­schei­dung über das Re­vi­si­ons­be­geh­ren sind nach wie vor ge­ge­ben, ob­wohl die Klä­ge­rin wäh­rend des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens auf ih­ren An­trag aus dem Be­am­ten­ver­hält­nis aus­ge­schie­den ist.

13 a) Die mit der An­fech­tungs­kla­ge an­ge­streb­te Auf­he­bung der Dis­zi­pli­nar­ver­fü­gung ist al­ler­dings nicht mehr mög­lich, weil die­se Ver­fü­gung durch die an­trags­ge­mä­ße Ent­las­sung der Klä­ge­rin aus dem Be­am­ten­ver­hält­nis ih­re Rechts­wirk­sam­keit ver­lo­ren hat; sie hat sich er­le­digt (§ 43 Abs. 2 VwVfG NRW, § 3 Abs. 1 LDG NRW).

14 Ein Ver­wal­tungs­akt ver­liert sei­ne Rechts­wir­kun­gen u.a. dann, wenn er auf­grund ei­ner nach­träg­li­chen Än­de­rung der Sach- oder Rechts­la­ge sei­nen Re­ge­lungs­zweck nicht mehr er­rei­chen kann. Der Gel­tungs­an­spruch des Ver­wal­tungs­akts, der dar­auf ge­rich­tet ist, ein Rechts­ver­hält­nis zu be­grün­den, auf­zu­he­ben, in­halt­lich zu än­dern oder fest­zu­stel­len, muss er­lo­schen sein.

15 Dies ist bei ei­ner Dis­zi­pli­nar­ver­fü­gung der Fall, wenn der Be­am­te aus dem Be­am­ten­ver­hält­nis aus­schei­det. Durch die­ses Er­eig­nis ver­liert die Dis­zi­pli­nar­ver­fü­gung ih­ren Gel­tungs­an­spruch, weil fest­steht, dass ihr Zweck nicht mehr er­reicht wer­den kann. Das Aus­schei­den aus dem Be­am­ten­ver­hält­nis lässt das dis­zi­pli­nar­recht­li­che Sank­ti­ons­be­dürf­nis ent­fal­len.

16 Der Zweck des Dis­zi­pli­nar­rechts be­steht dar­in, die Funk­ti­ons­fä­hig­keit der öf­fent­li­chen Ver­wal­tung und das An­se­hen des öf­fent­li­chen Diens­tes auf­recht­zu­er­hal­ten und wie­der­her­zu­stel­len. Da­her wer­den Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men im Un­ter­schied zu Kri­mi­nal­stra­fen nicht ver­hängt, um be­gan­ge­nes Un­recht zu ver­gel­ten.

17 Viel­mehr sol­len die Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men des Ver­wei­ses, der Geld­bu­ße und der Kür­zung der Dienst­be­zü­ge, die durch Dis­zi­pli­nar­ver­fü­gung aus­ge­spro­chen wer­den, den ak­ti­ven Be­am­ten die Be­deu­tung der ver­letz­ten Dienst­pflich­ten für die Funk­ti­ons­fä­hig­keit der öf­fent­li­chen Ver­wal­tung vor Au­gen füh­ren und sie da­zu an­hal­ten, sich künf­tig pflicht­ge­mäß zu ver­hal­ten. Sie sind dar­auf ge­rich­tet, den ord­nungs­ge­mä­ßen Be­trieb der öf­fent­li­chen Ver­wal­tung si­cher­zu­stel­len und wei­te­re Funk­ti­ons- oder An­se­hens­be­ein­träch­ti­gun­gen zu ver­mei­den (Ur­tei­le vom 23. Ja­nu­ar 1973 - BVer­wG 1 D 25.72 - BVer­w­GE 46, 64 <66 f.>; vom 5. Mai 1998 - BVer­wG 1 D 12.97 - ju­ris Rn. 19 <in­so­weit nicht ver­öf­fent­licht in Buch­holz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 16>; Be­schluss vom 13. Ok­to­ber 2005 - BVer­wG 2 B 19.05 - Buch­holz 235.1 § 15 BDG Nr. 2 Rn. 5).

18 Aus die­sem Grund steht der Gel­tungs­an­spruch von Dis­zi­pli­nar­ver­fü­gun­gen un­ter dem Vor­be­halt, dass die ge­ma­ß­re­gel­ten Be­trof­fe­nen wei­ter­hin die be­am­ten­recht­li­chen Pflich­ten zu be­ach­ten ha­ben. Dies ist nicht mehr der Fall, wenn sie aus dem Be­am­ten­ver­hält­nis aus­ge­schie­den sind. Ein frü­he­rer Be­am­ter kann nicht mehr ge­mahnt wer­den, Pflich­ten zu be­ach­ten, die für ihn nicht mehr gel­ten. Er kann auch nicht mehr die Funk­ti­ons­fä­hig­keit der öf­fent­li­chen Ver­wal­tung oder das An­se­hen des öf­fent­li­chen Diens­tes be­ein­träch­ti­gen.

19 b) Der An­trag, die Rechts­wid­rig­keit der er­le­dig­ten Dis­zi­pli­nar­ver­fü­gung fest­zu­stel­len, ist als nach­ran­gi­ges Be­geh­ren in dem wei­ter­ge­hen­den Auf­he­bungs­an­trag ent­hal­ten (Ur­teil vom 28. April 2005 - BVer­wG 2 C 1.04 - BVer­w­GE 123, 308 <312> = Buch­holz 240 § 72a BBesG Nr. 1 S. 3 f.). Der Fort­set­zungs­fest­stel­lungs­an­trag än­dert we­der das Rechts­schutz­ziel noch den Sach- und Streit­stoff des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens (Ur­tei­le vom 2. Ju­li 1982 - BVer­wG 8 C 101.81 - BVer­w­GE 66, 75 <78> = Buch­holz 448.11 § 43 ZDG Nr. 2 S. 3 f.; vom 21. Ok­to­ber 1993 - BVer­wG 6 C 12.92 - Buch­holz 421.0 Prü­fungs­we­sen Nr. 320 S. 306 und vom 15. De­zem­ber 2011 - BVer­wG 2 C 44.10 - ju­ris Nr. 8).

20 Das be­rech­tig­te In­ter­es­se der Klä­ge­rin an der be­an­trag­ten Fest­stel­lung nach § 113 Abs. 1 Satz 4 Vw­GO folgt aus dem Um­stand, dass sie un­ter Be­ru­fung auf die neue­re Recht­spre­chung des Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hofs für Men­schen­rech­te (EGMR) gel­tend macht, die dis­zi­pli­nar­recht­li­che Ma­ß­re­ge­lung ha­be ih­re Ko­ali­ti­ons­frei­heit nach Art. 9 Abs. 3 GG, Art. 11 der Eu­ro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on (EM­RK) ver­letzt.

21 2. Der Be­klag­te hat zu Recht an­ge­nom­men, dass die Klä­ge­rin durch die Teil­nah­me an den Warn­streiks ein Dienst­ver­ge­hen be­gan­gen hat. Sie blieb an den drei Ta­gen, an de­nen sie aus die­sem Grund den Un­ter­richt ver­säum­te, vor­sätz­lich dem Dienst un­er­laubt fern (§ 83 Abs. 1 Satz 1, § 79 Abs. 1 Satz 1 des Be­am­ten­ge­set­zes für das Land Nord­rhein-West­fa­len in der bis zum 31. März 2009 gel­ten­den Fas­sung der Be­kannt­ma­chung vom 1. Mai 1981 - LBG NRW a.F. - <GV. NRW. S. 234>).

22 Der Tat­be­stand des un­er­laub­ten Fern­blei­bens nach § 79 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW a.F. knüpft an die for­ma­le Dienst­leis­tungs­pflicht an. Die­se be­am­ten­recht­li­che Grund­pflicht for­dert von Be­am­ten vor al­lem, sich wäh­rend der vor­ge­schrie­be­nen Zeit an dem vor­ge­schrie­be­nen Ort auf­zu­hal­ten und dort die ihm über­tra­ge­nen dienst­li­chen Auf­ga­ben wahr­zu­neh­men (stRspr; vgl. Ur­teil vom 11. Ok­to­ber 2006 - BVer­wG 1 D 10.05 - Buch­holz 232 § 73 BBG Nr. 30 Rn. 34). Wer dem Dienst vor­sätz­lich un­er­laubt fern­bleibt, miss­ach­tet da­mit zwangs­läu­fig die Dienst­pflich­ten zum vol­len be­ruf­li­chen Ein­satz und zur Be­fol­gung dienst­li­cher An­ord­nun­gen. Die Teil­nah­me der Klä­ge­rin an den Warn­streiks war un­er­laubt, weil sie nicht nach Art. 9 Abs. 3 GG oder nach Art. 11 EM­RK von ih­ren Un­ter­richts­pflich­ten be­freit war.

23 3. Be­am­te sind nicht be­rech­tigt, sich an kol­lek­ti­ven Kampf­maß­nah­men zu be­tei­li­gen oder die­se zu un­ter­stüt­zen. In­so­weit ent­hält Art. 33 Abs. 5 GG ein um­fas­sen­des Ver­bot für al­le Be­am­ten, das de­ren Ko­ali­ti­ons­frei­heit nach Art. 9 Abs. 3 GG be­schränkt und auch oh­ne ge­setz­li­che Ver­bots­re­ge­lun­gen be­ach­tet wer­den muss. Dem­ge­gen­über nimmt der EGMR in zwei Ent­schei­dun­gen aus den Jah­ren 2008 und 2009 an, dass die Ge­währ­leis­tun­gen der Ko­ali­ti­ons­frei­heit nach Art. 11 EM­RK den­je­ni­gen An­ge­hö­ri­gen des öf­fent­li­chen Diens­tes ein Recht auf Ta­rif­ver­hand­lun­gen und kol­lek­ti­ve Kampf­maß­nah­men ein­räu­men, die nach ih­rem Auf­ga­ben­be­reich nicht an der Aus­übung ge­nu­in ho­heit­li­cher Be­fug­nis­se be­tei­ligt sind. Es ist Auf­ga­be des Bun­des­ge­setz­ge­bers, ei­nen Aus­gleich zwi­schen den in­halt­lich un­ver­ein­ba­ren An­for­de­run­gen des Art. 33 Abs. 5 GG und des Art. 11 EM­RK her­zu­stel­len. So­lan­ge dies nicht ge­sche­hen ist, be­an­sprucht das Ver­bot nach Art. 33 Abs. 5 GG Gel­tung.

24 4. Nach Art. 33 Abs. 5 GG ist das Recht des öf­fent­li­chen Diens­tes un­ter Be­rück­sich­ti­gung der her­ge­brach­ten Grund­sät­ze des Be­rufs­be­am­ten­tums zu re­geln und fort­zu­ent­wi­ckeln. Da­mit stellt das Grund­ge­setz die von ihm vor­ge­fun­de­ne In­sti­tu­ti­on des Be­rufs­be­am­ten­tums un­ter ver­fas­sungs­recht­li­chen Schutz. Un­ter dem Be­griff der her­ge­brach­ten Grund­sät­ze ist ein prä­gen­der Kern­be­stand an recht­li­chen Struk­tur­prin­zi­pi­en zu ver­ste­hen, die sich in der Tra­di­ti­on ent­wi­ckelt und be­währt ha­ben. Sie müs­sen wäh­rend ei­nes län­ge­ren Zeit­raums, vor al­lem wäh­rend der Gel­tung der Wei­ma­rer Reichs­ver­fas­sung, als ver­bind­lich an­er­kannt ge­we­sen sein und das Bild des Be­rufs­be­am­ten­tums ma­ß­geb­lich ge­prägt ha­ben. Dies ist an­zu­neh­men, wenn ih­re Be­sei­ti­gung des­sen Cha­rak­ter als In­sti­tu­ti­on grund­le­gend ver­än­dern wür­de (stRspr; BVerfG, Be­schlüs­se vom 19. Sep­tem­ber 2007 - 2 BvF 3/02 - BVerf­GE 119, 247 <260 f.> und vom 28. Mai 2008 - 2 BvL 11/07 - BVerf­GE 121, 205 <219 f.>).

25 Das Grund­ge­setz ge­währ­leis­tet die her­ge­brach­ten Grund­sät­ze als die funk­ti­ons­we­sent­li­chen tra­dier­ten Grund­struk­tu­ren ei­ner In­sti­tu­ti­on, die auf Sach­wis­sen, fach­li­cher Leis­tung und loya­ler Pflicht­er­fül­lung be­ruht. Das Be­rufs­be­am­ten­tum soll er­hal­ten wer­den, weil es auf­grund sei­ner recht­li­chen Struk­tu­ren als be­fä­higt an­ge­se­hen wird, ei­ne sta­bi­le Ver­wal­tung zu si­chern und die rechts­staat­li­chen Bin­dun­gen je­des staat­li­chen Han­delns auch ge­gen­über den po­li­ti­schen Kräf­ten zur Gel­tung zu brin­gen (stRspr; BVerfG, Be­schlüs­se vom 19. Sep­tem­ber 2007 a.a.O. und vom 28. Mai 2008 a.a.O.).

26 Die recht­li­che Be­deu­tung der her­ge­brach­ten Grund­sät­ze hängt von ih­rem In­halt ab: Ge­ben sie ei­nen aus­fül­lungs­be­dürf­ti­gen Rah­men vor, ist der Ge­setz­ge­ber zur in­halt­li­chen Kon­kre­ti­sie­rung be­rech­tigt und ver­pflich­tet, wo­bei er die ver­fas­sungs­recht­li­chen Gren­zen be­ach­ten muss (stRspr; vgl. Ur­teil vom 20. März 2008 - BVer­wG 2 C 49.07 - BVer­w­GE 131, 20 = Buch­holz 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 94, je­weils Rn. 20). Hat ein her­ge­brach­ter Grund­satz da­ge­gen ei­nen hin­rei­chend be­stimm­ten In­halt, fol­gen dar­aus un­mit­tel­bar Rech­te und Pflich­ten für das Be­am­ten­ver­hält­nis; ei­ner ge­setz­li­chen Re­ge­lung be­darf es nicht.

27 Die her­ge­brach­ten Grund­sät­ze des Be­rufs­be­am­ten­tums ste­hen in ei­nem in­halt­li­chen Zu­sam­men­hang; sie er­ge­ben in ih­rer Ge­samt­heit das be­son­de­re, für das Be­am­ten­ver­hält­nis cha­rak­te­ris­ti­sche Re­ge­lungs­ge­fü­ge aus Rech­ten und Pflich­ten. So folgt aus her­ge­brach­ten Grund­sät­zen des Le­bens­zeit­prin­zips, des Leis­tungs­prin­zips und der Haupt­be­ruf­lich­keit, dass der Be­am­te grund­sätz­lich ver­pflich­tet ist, dem Dienst­herrn le­bens­lang sei­ne vol­le Ar­beits­kraft zur Ver­fü­gung zu stel­len, die über­tra­ge­nen dienst­li­chen Auf­ga­ben mit vol­lem be­ruf­li­chen Ein­satz so­wie un­ei­gen­nüt­zig zu er­fül­len, sich da­bei aus­schlie­ß­lich an Ge­setz und Recht zu ori­en­tie­ren und sich ge­gen­über dem Dienst­herrn loy­al zu ver­hal­ten. Im Ge­gen­zug ver­pflich­tet der Ali­men­ta­ti­ons­grund­satz den Dienst­herrn, dem Be­am­ten und sei­ner Fa­mi­lie le­bens­lang den­je­ni­gen Un­ter­halt zu ge­wäh­ren, der nach den wirt­schaft­li­chen Ver­hält­nis­sen für ei­ne dem Sta­tu­samt ent­spre­chen­de Le­bens­füh­rung er­for­der­lich ist. Da­durch wird die wirt­schaft­li­che Un­ab­hän­gig­keit des Be­am­ten si­cher­ge­stellt, die ihn in die La­ge ver­setzt, sein Amt un­ei­gen­nüt­zig nach den Er­for­der­nis­sen des Rechts zu füh­ren (BVerfG, Be­schlüs­se vom 19. Sep­tem­ber 2007 a.a.O. S. 263 f. und vom 28. Mai 2008 a.a.O. S. 221; Ur­teil vom 14. Fe­bru­ar 2012 - 2 BvL 4/10 - BVerf­GE 130, 263 <292 f.>).

28 Art. 33 Abs. 5 GG er­teilt dem Ge­setz­ge­ber den Auf­trag, das Be­am­ten­recht zu re­geln und fort­zu­ent­wi­ckeln. Da­her hat er die Be­fug­nis, die her­ge­brach­ten Grund­sät­ze „in die Zeit zu stel­len“, in­dem er den vor­ge­ge­be­nen Rah­men aus­füllt oder ih­ren Gel­tungs­be­reich ein­schränkt. Um­fang und Reich­wei­te des dem Ge­setz­ge­ber hier­bei er­öff­ne­ten Ge­stal­tungs­spiel­raums hän­gen da­von ab, wel­che Be­deu­tung dem je­wei­li­gen her­ge­brach­ten Grund­satz für die dem Be­rufs­be­am­ten­tum zu­ge­dach­te Auf­ga­be zu­kommt, ei­ne rechts­staat­li­che Ver­wal­tung zu si­chern. Art. 33 Abs. 5 GG ver­bie­tet tief­grei­fen­de struk­tu­rel­le Ein­grif­fe, die das We­sen der In­sti­tu­ti­ons­ga­ran­tie Be­rufs­be­am­ten­tum ver­än­dern (BVerfG, Be­schlüs­se vom 19. Sep­tem­ber 2007 a.a.O. S. 262 f. und vom 28. Mai 2008 a.a.O. S. 220 f.). Die Auf­nah­me des Fort­ent­wick­lungs­ge­bots in den Wort­laut des Art. 33 Abs. 5 GG durch das Ge­setz zur Än­de­rung des Grund­ge­set­zes vom 28. Au­gust 2006 (BGBl S. 2034) hat den Ge­stal­tungs­spiel­raum des Ge­setz­ge­bers nicht er­wei­tert (BVerfG, Be­schlüs­se vom 19. Sep­tem­ber 2007 a.a.O. S. 273 und vom 28. Mai 2008 a.a.O. S. 232).

29 Es stellt ein durch Art. 33 Abs. 5 GG vor­ge­ge­be­nes prä­gen­des Struk­tur­prin­zip der In­sti­tu­ti­on des Be­rufs­be­am­ten­tums dar, dass das Ge­fü­ge auf­ein­an­der be­zo­ge­ner und sich er­gän­zen­der Rech­te und Pflich­ten ein­sei­tig von den Dienst­herrn in­halt­lich kon­kre­ti­siert wird. Der Grund­satz der ho­heit­li­chen Ge­stal­tung des Be­am­ten­ver­hält­nis­ses hat in zahl­rei­chen Vor­schrif­ten der Be­am­ten­ge­set­ze Aus­druck ge­fun­den. So ist die Be­am­ten­be­sol­dung durch Ge­setz zu re­geln (§ 2 Abs. 1 und 2 BBesG). Grund­le­gen­de Ar­beits­be­din­gun­gen der Be­am­ten wie Ar­beits­zeit und Ur­laub sind un­mit­tel­bar durch Ge­setz oder auf­grund ge­setz­li­cher Er­mäch­ti­gung durch Rechts­ver­ord­nung ge­re­gelt (vgl. § 87 ff. BBG, § 44 Be­amtStG). Ge­setz- und Ver­ord­nungs­ge­ber sind bei der Fest­le­gung der Be­sol­dung und der wei­te­ren Ar­beits­be­din­gun­gen an die Vor­ga­ben ins­be­son­de­re des Art. 33 Abs. 5 GG ge­bun­den; die­ser Bin­dung ent­spre­chen sub­jek­ti­ve Rech­te der Be­am­ten. Es liegt in der Ver­ant­wor­tung von Ge­setz- und Ver­ord­nungs­ge­ber, ins­be­son­de­re die ver­fas­sungs­recht­li­chen Gren­zen ih­res Re­ge­lungs­auf­trags zu be­ach­ten und auf die­se Wei­se das be­am­ten­recht­li­che Re­ge­lungs­ge­fü­ge in ei­nem aus­ta­rier­ten Zu­stand zu hal­ten (BVerfG, Be­schlüs­se vom 11. Ju­ni 1958 - 1 BvR 1/52, 46/52 - BVerf­GE 8, 1 <17 f.>; vom 30. März 1977 - 2 BvR 1039, 1045/75 - BVerf­GE 44, 249 <264> und vom 19. Sep­tem­ber 2007 a.a.O. S. 263 f.).

30 Mit der Rechts­na­tur des Be­am­ten­ver­hält­nis­ses als ei­nes ho­heit­lich aus­ge­stal­te­ten Dienst- und Treue­ver­hält­nis­ses lässt sich nicht ver­ein­ba­ren, dass die Kon­kre­ti­sie­rung des be­am­ten­recht­li­chen Re­ge­lungs­ge­fü­ges zur Dis­po­si­ti­on der Ta­rif­par­tei­en ge­stellt, d.h. zwi­schen den Dienst­herrn und den Ge­werk­schaf­ten der Be­am­ten aus­ge­han­delt und ver­ein­bart wird. Die In­sti­tu­ti­on des Be­rufs­be­am­ten­tums wür­de tief­grei­fend ver­än­dert, wenn die Fra­gen der Be­sol­dung, der Ar­beits­zei­ten oder der Al­ters­gren­zen für die Ein­stel­lung und den Ein­tritt in den Ru­he­stand durch Ta­rif­ver­trä­ge ge­re­gelt wür­den und die Ge­werk­schaf­ten der Be­am­ten ih­ren For­de­run­gen wäh­rend der Ta­rif­ver­hand­lun­gen durch kol­lek­ti­ve Kampf­maß­nah­men Nach­druck ver­lei­hen könn­ten. Denn die ta­rif­li­che Ge­stal­tung des Be­am­ten­rechts setzt Ta­rif­au­to­no­mie und da­mit ei­nen Ver­zicht der Dienst­herrn auf ih­re ho­heit­li­chen Re­ge­lungs­be­fug­nis­se vor­aus. An de­ren Stel­le trä­te die Rechts­ver­bind­lich­keit der aus­ge­han­del­ten Ta­rif­ab­schlüs­se. Die Aus­ge­wo­gen­heit des be­am­ten­recht­li­chen Re­ge­lungs­ge­fü­ges, ins­be­son­de­re die Be­ach­tung der Vor­ga­ben des Art. 33 Abs. 5 GG, hin­ge in ers­ter Li­nie da­von ab, dass zwi­schen den Ta­rif­par­tei­en Kampf­pa­ri­tät be­steht.

31 Das Ver­bot für Be­am­te, zur Durch­set­zung von Ar­beits­be­din­gun­gen kol­lek­ti­ve Kampf­maß­nah­men zu er­grei­fen, ist als her­ge­brach­ter Grund­satz im Sin­ne von Art. 33 Abs. 5 GG an­er­kannt. Bis zum En­de der Mon­ar­chie im No­vem­ber 1918 wur­de Be­am­ten selbst die Teil­nah­me an Ver­an­stal­tun­gen der we­ni­gen Be­rufs­ver­bän­de ver­bo­ten. Erst ge­gen En­de der Mon­ar­chie wur­den Ver­tre­ter der or­ga­ni­sier­ten Be­am­ten­schaft von der preu­ßi­schen Re­gie­rung an­ge­hört. Art. 130 Abs. 2 der Wei­ma­rer Reichs­ver­fas­sung (WRV) si­cher­te den Be­am­ten das Recht auf po­li­ti­sche Ge­sin­nungs­frei­heit und Ver­ei­ni­gungs­frei­heit zu. Art. 130 Abs. 3 WRV ge­währ­te ih­nen das Recht auf Be­rufs­ver­tre­tun­gen nach nä­he­rer ge­setz­li­cher Be­stim­mung. Ein Ge­set­zes­ent­wurf des All­ge­mei­nen Deut­schen Be­am­ten­bun­des aus dem Jahr 1926 sah vor, dass Be­am­ten­ver­tre­tun­gen be­rech­tigt sein soll­ten, statt ho­heit­li­cher Re­ge­lun­gen der Ar­beits­be­din­gun­gen kol­lek­ti­ve Ver­ein­ba­run­gen zu ver­lan­gen. Die­se Vor­stel­lun­gen tra­fen auf grund­sätz­li­che Kri­tik und wur­den nicht ver­wirk­licht. Die in der An­fangs­zeit der Wei­ma­rer Re­pu­blik um­strit­te­ne Fra­ge der Zu­läs­sig­keit von Be­am­ten­streiks wur­de wäh­rend des Ei­sen­bah­ner­streiks im Jahr 1922 ge­klärt: Durch die auf Art. 48 Abs. 2 WRV ge­stütz­te Not­ver­ord­nung vom 1. Fe­bru­ar 1922 (RGBl I S. 187) ver­bot der Reichs­prä­si­dent den Be­am­ten der Reichs­bahn eben­so wie al­len üb­ri­gen Be­am­ten, die Ar­beit ein­zu­stel­len oder zu ver­wei­gern. Die Not­ver­ord­nung wur­de am 9. Fe­bru­ar 1922 auf­ge­ho­ben. In der Fol­ge­zeit be­stä­tig­ten Reichs­ge­richt und Reichs­dis­zi­pli­nar­hof das Ver­bot, weil Be­am­te zum Staat in ei­nem öf­fent­lich-recht­li­chen Ge­walt­ver­hält­nis stün­den. Da­her sei­en sie in be­son­de­rer Wei­se zu Treue, Ge­hor­sam und ge­wis­sen­haf­ter Auf­ga­ben­er­fül­lung ver­pflich­tet (zum Gan­zen: Krau­se, Rechts­his­to­ri­sche Rei­he - 357 -, Die her­ge­brach­ten Grund­sät­ze des Be­rufs­be­am­ten­tums, 2008, S. 36 ff.).

32 Dem­entspre­chend ist das Ver­bot kol­lek­ti­ver Kampf­maß­nah­men als not­wen­di­ge Er­gän­zung so­wohl in den grund­le­gen­den, durch Art. 33 Abs. 5 GG vor­ge­ge­be­nen Be­am­ten­pflich­ten zum vol­len be­ruf­li­chen Ein­satz, zur Be­fol­gung dienst­li­cher An­ord­nun­gen und zur Loya­li­tät als auch in dem Struk­tur­prin­zip der ho­heit­li­chen Ge­stal­tung des Be­am­ten­ver­hält­nis­ses ver­an­kert. Es gilt auf­grund sei­ner in­halt­li­chen Be­stimmt­heit un­mit­tel­bar und geht dem Grund­recht der Ko­ali­ti­ons­frei­heit nach Art. 9 Abs. 3 GG vor, so­weit sein An­wen­dungs­be­reich reicht (BVerfG, Be­schlüs­se vom 11. Ju­ni 1958 a.a.O. S. 17; vom 30. März 1977 a.a.O. S. 264 und vom 19. Sep­tem­ber 2007 - 2 BvF 3/02 - BVerf­GE 119, 247 <S. 264>).

33 Das Ver­bot gilt für al­le Be­am­ten glei­cher­ma­ßen. Es knüpft wie das be­am­ten­recht­li­che Re­gel­werk in sei­ner Ge­samt­heit nicht an den Ein­satz- und Auf­ga­ben­be­reich der Be­am­ten, son­dern an den Be­am­ten­sta­tus an. Dies gilt un­ge­ach­tet des Um­stands, dass die Dienst­herrn au­ßer­halb der Be­rei­che der ge­nu­in ho­heit­li­chen Ver­wal­tung, die nach Art. 33 Abs. 4 GG in der Re­gel Be­am­ten vor­be­hal­ten sind, von Ver­fas­sungs we­gen nicht ge­hin­dert sind, nach po­li­ti­schen und fis­ka­li­schen Ge­sichts­punk­ten zu ent­schei­den, ob sie zur Er­fül­lung ih­rer Auf­ga­ben Be­am­te oder Ta­rif­be­schäf­tig­te ein­set­zen (BVerfG, Be­schluss vom 19. Sep­tem­ber 2007 a.a.O. S. 267; Ur­teil vom 14. Fe­bru­ar 2012 - 2 BvL 4/10 - BVerf­GE 130, 263 <297 f.>).

34 5. Nach Art. 11 Abs. 1 EM­RK hat je­de Per­son das Recht, sich fried­lich mit an­de­ren zu ver­sam­meln und sich frei mit an­de­ren zu­sam­men­zu­schlie­ßen; da­zu ge­hört auch das Recht, zum Schutz ih­rer In­ter­es­sen Ge­werk­schaf­ten zu grün­den und Ge­werk­schaf­ten bei­zu­tre­ten. Die­se Rech­te kön­nen nach Ma­ß­ga­be des Art. 11 Abs. 2 Satz 1 und 2 EM­RK ein­ge­schränkt wer­den.

35 Nach der Recht­spre­chung des EGMR um­fasst Art. 11 Abs. 1 EM­RK auch das Recht des Ein­zel­nen, Ge­werk­schaf­ten zu bil­den und de­ren Ak­ti­vi­tä­ten zur För­de­rung der Ar­beits­be­din­gun­gen zu un­ter­stüt­zen, so­wie das Recht die­ser Ge­werk­schaf­ten, im Na­men ih­rer Mit­glie­der Kol­lek­tiv­ver­hand­lun­gen mit dem Ar­beit­ge­ber über die Ar­beits­be­din­gun­gen zu füh­ren. Dies gilt auch für die An­ge­hö­ri­gen des öf­fent­li­chen Diens­tes. Die Ge­währ­leis­tun­gen des Art. 11 EM­RK ver­pflich­ten den Staat als Ar­beit­ge­ber, oh­ne dass es dar­auf an­kommt, ob die Be­zie­hun­gen zu den Staats­be­diens­te­ten dem öf­fent­li­chen Recht oder dem Pri­vat­recht zu­zu­ord­nen sind. Die Eu­ro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on macht kei­nen Un­ter­schied zwi­schen der Tä­tig­keit der Kon­ven­ti­ons­staa­ten als Trä­ger ho­heit­li­cher Ge­walt ei­ner­seits und ih­ren Pflich­ten als Ar­beit­ge­ber an­de­rer­seits. Ein­schrän­kun­gen der Ko­ali­ti­ons­frei­heit sind nur zu­läs­sig, wenn sie von den Schran­ken des Art. 11 Abs. 2 Satz 1 und 2 EM­RK ge­deckt sind (EGMR (GK), Ur­teil vom 12. No­vem­ber 2008 - Nr. 34503/97, Demir und Bay­ka­ra - NZA 2010, 1425).

36 Art. 11 Abs. 2 Satz 1 und 2 EM­RK ent­hält Ein­schrän­kun­gen für die Aus­übung der Rech­te nach Ab­satz 1: Nach Satz 1 set­zen Ein­schrän­kun­gen vor­aus, dass sie ge­setz­lich vor­ge­se­hen und in ei­ner de­mo­kra­ti­schen Ge­sell­schaft not­wen­dig sind un­ter an­de­rem für die na­tio­na­le oder öf­fent­li­che Si­cher­heit, zur Auf­recht­erhal­tung der Ord­nung oder zum Schutz der Rech­te und Frei­hei­ten an­de­rer. Nach Satz 2 steht Art. 11 recht­mä­ßi­gen Ein­schrän­kun­gen der Aus­übung die­ser Rech­te für An­ge­hö­ri­ge der Streit­kräf­te, der Po­li­zei oder der Staats­ver­wal­tung nicht ent­ge­gen. Wäh­rend die erst­ge­nann­ten Grup­pen ein­deu­tig ab­grenz­bar sind, ist der Be­griff „An­ge­hö­ri­ge der Staats­ver­wal­tung“ nicht aus sich her­aus ver­ständ­lich.

37 Der EGMR be­stimmt die­sen Schutz­be­reich der in­di­vi­du­el­len und kol­lek­ti­ven Ko­ali­ti­ons­frei­heit nach Art. 11 Abs. 1 EM­RK aus­drück­lich in Über­ein­stim­mung mit völ­ker­recht­li­chen Ver­ein­ba­run­gen wie der Kon­ven­ti­on Nr. 98 der In­ter­na­tio­na­len Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on (ILO) und Teil II Art. 6 Nr. 1 der Eu­ro­päi­schen So­zi­al­char­ta so­wie mit Art. 28 der Eu­ro­päi­schen Grund­rech­te­char­ta und der Pra­xis der gro­ßen Mehr­heit der eu­ro­päi­schen Staa­ten. Da­mit hat er die Spruch­pra­xis des Sach­ver­stän­di­gen­aus­schus­ses der ILO und des Eu­ro­päi­schen Aus­schus­ses für So­zia­le Rech­te über­nom­men (zum Gan­zen: Sei­fert, KritV 2009, 357 <363 f.>).

38 Im An­schluss an das Ur­teil vom 12. No­vem­ber 2008 (a.a.O.) hat der EGMR das durch Art. 11 Abs. 1 EM­RK ge­schütz­te Recht auf Kol­lek­tiv­ver­hand­lun­gen der An­ge­hö­ri­gen des öf­fent­li­chen Diens­tes und ih­rer Ge­werk­schaf­ten um das Streik­recht er­gänzt. Da­bei be­zieht er sich wie­der­um auf die Eu­ro­päi­sche So­zi­al­char­ta, die das Streik­recht als ein Mit­tel zur wirk­sa­men Aus­übung des Rechts auf Kol­lek­tiv­ver­hand­lun­gen ge­währ­leis­te. Das Streik­recht sei von den Kon­troll­or­ga­nen der In­ter­na­tio­na­len Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on (ILO) als un­trenn­ba­rer Teil der Ver­ei­ni­gungs­frei­heit an­er­kannt (EGMR, Ur­teil vom 21. April 2009 - Nr. 68959/01, Ener­ji Ya­pi-Yol Sen - NZA 2010, 1423).

39 In den an­ge­führ­ten Ent­schei­dun­gen nimmt der EGMR auch zu den Ein­schrän­kun­gen der Ko­ali­ti­ons­frei­heit Stel­lung. In dem Ur­teil vom 21. April 2009 (a.a.O.) hei­ßt es zu Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EM­RK, es kön­ne mit der Ko­ali­ti­ons­frei­heit ver­ein­bar sein, Streiks von An­ge­hö­ri­gen des öf­fent­li­chen Diens­tes zu ver­bie­ten, die im Na­men des Staa­tes Ho­heits­ge­walt aus­üb­ten. Ein Streik­ver­bot kön­ne zwar für be­stimm­te Grup­pen von An­ge­hö­ri­gen des öf­fent­li­chen Diens­tes, nicht aber für den öf­fent­li­chen Dienst ins­ge­samt oder für An­ge­stell­te staat­li­cher Wirt­schafts- und In­dus­trie­un­ter­neh­men aus­ge­spro­chen wer­den. Vor­schrif­ten über das Streik­recht müss­ten die er­fass­ten Grup­pen so ein­deu­tig und be­grenzt wie mög­lich be­stim­men.

40 Dem­nach ver­steht der EGMR den Be­griff „An­ge­hö­ri­ge der Staats­ver­wal­tung“ im Sin­ne von Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EM­RK nicht sta­tus­be­zo­gen, son­dern funk­tio­nal (auf­ga­ben­be­zo­gen): Das Streik­recht kann ge­ne­rell für die­je­ni­gen Staats­be­diens­te­ten aus­ge­schlos­sen wer­den, die an der Aus­übung von Ho­heits­ge­walt im Na­men des Staa­tes be­tei­ligt sind.

41 Mit die­ser Aus­le­gung des Be­griffs der Staats­ver­wal­tung im Sin­ne von Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EM­RK führt der EGMR sei­ne Recht­spre­chung fort, wo­nach es für die Zu­er­ken­nung und Ein­schrän­kung von Kon­ven­ti­ons­rech­ten der An­ge­hö­ri­gen des öf­fent­li­chen Diens­tes ent­schei­dend auf de­ren Auf­ga­ben­be­reich an­kommt. Die­ses funk­tio­na­le Kri­te­ri­um hat die Gro­ße Kam­mer des EGMR in dem Ur­teil vom 8. De­zem­ber 1999 (- Nr. 28541/95, Pel­le­grin - NVwZ 2000, 661 <663>) zur Be­stim­mung des An­wen­dungs­be­reichs des Art. 6 Abs. 1 EM­RK ent­wi­ckelt. Der EGMR wen­det es seit­dem an; auch in dem Ur­teil vom 21. April 2009 (a.a.O.) nimmt er dar­auf Be­zug (vgl. z.B. EGMR, Ent­schei­dung vom 22. No­vem­ber 2001 - Nr. 39799/98, Volk­mer - NJW 2002, 3087 <3089>).

42 Die­se Recht­spre­chung be­ruht auf dem Ver­ständ­nis des EGMR von der Be­deu­tung der Kon­ven­ti­ons­rech­te. Der Ge­richts­hof will si­cher­stel­len, dass Per­so­nen, die sich in ei­ner im We­sent­li­chen glei­chen Si­tua­ti­on be­fin­den, in Be­zug auf die Aus­übung der Kon­ven­ti­ons­rech­te in al­len Kon­ven­ti­ons­staa­ten gleich be­han­delt wer­den. Staats­be­diens­te­te mit glei­chen Auf­ga­ben sol­len in al­len Kon­ven­ti­ons­staa­ten gleich be­han­delt wer­den, d.h. glei­che Rech­te nach der Eu­ro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on ha­ben (Ur­teil vom 8. De­zem­ber 1999 a.a.O.).

43 In dem Ur­teil vom 12. No­vem­ber 2008 (a.a.O.) ver­langt der EGMR für die Not­wen­dig­keit ei­ner Ein­schrän­kung der Ko­ali­ti­ons­frei­heit nach Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EM­RK ei­ne strik­te Ver­hält­nis­mä­ßig­keits­prü­fung. Die Ko­ali­ti­ons­frei­heit dür­fe nicht in ih­rem We­sens­ge­halt an­ge­tas­tet wer­den; ih­re Ein­schrän­kung müs­se durch ein drin­gen­des ge­sell­schaft­li­ches Be­dürf­nis ge­recht­fer­tigt sein. Hier­für ob­lie­ge den Kon­ven­ti­ons­staa­ten die Dar­le­gungs­pflicht. Die­se Aus­füh­run­gen las­sen den Schluss zu, dass der EGMR den Kon­ven­ti­ons­staa­ten nur ei­nen ge­rin­gen Spiel­raum für die An­nah­me ei­nes drin­gen­den Be­dürf­nis­ses im Sin­ne von Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EM­RK ein­räumt (Nuß­ber­ger, RdA 2012, 270 <272>).

44 Nach al­le­dem in­ter­pre­tiert der Se­nat die Recht­spre­chung des EGMR zu Art. 11 Abs. 2 EM­RK da­hin­ge­hend, dass Ein­schrän­kun­gen der Ko­ali­ti­ons­frei­heit von Staats­be­diens­te­ten nur zu­läs­sig sind, wenn dies aus Grün­den der Funk­ti­ons­fä­hig­keit der staat­li­chen In­sti­tu­tio­nen drin­gend ge­bo­ten ist. Die­se Vor­aus­set­zung kann ge­ne­rell, d.h. un­ab­hän­gig von ei­nem kon­kre­ten An­lass, nur für die Be­diens­te­ten an­ge­nom­men wer­den, die in Streit­kräf­ten, Po­li­zei und Staats­ver­wal­tung im Sin­ne von Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EM­RK, d.h. in der Ho­heits­ge­walt aus­üben­den Ver­wal­tung, ein­ge­setzt sind.

45 Die dar­ge­stell­ten Aus­sa­gen des EGMR zum Be­deu­tungs­ge­halt von Art. 11 Abs. 1 und 2 EM­RK sind für das Ver­ständ­nis die­ser Re­ge­lun­gen ma­ß­geb­lich, weil der EGMR die Stel­lung ei­nes au­then­ti­schen In­ter­pre­ten der Eu­ro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on in­ne­hat. Sei­ner Recht­spre­chung kommt über den ent­schie­de­nen Fall hin­aus ei­ne Leit- und Ori­en­tie­rungs­funk­ti­on zu (BVerfG, Ur­teil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a. - BVerf­GE 128, 326 <368 f.> = NJW 2011, 1931 Rn. 89). Der EGMR legt die Kon­ven­ti­on au­to­nom aus, wo­bei er de­ren Sys­te­ma­tik und Ziel­set­zung, völ­ker­recht­li­che Grund­sät­ze und Ver­ein­ba­run­gen so­wie die Staa­ten­pra­xis in den Blick nimmt. Die Kon­ven­ti­ons­staa­ten ha­ben in der Er­klä­rung von Brigh­ton be­kräf­tigt, dass ein wich­ti­ger Bei­trag zur Er­leich­te­rung der Ar­beit des EGMR dar­in be­stehe, des­sen Rechts­grund­sät­ze zur Aus­le­gung der Eu­ro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on zu be­fol­gen und nicht erst ei­ne Ver­ur­tei­lung ab­zu­war­ten (Nuß­ber­ger, a.a.O. S. 273).

46 Leh­rer an deut­schen öf­fent­li­chen Schu­len sind kei­ne An­ge­hö­ri­gen der Staats­ver­wal­tung im Sin­ne von Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EM­RK, weil sie kei­ne ge­nu­in ho­heit­li­chen Auf­ga­ben wahr­neh­men (vgl. zu Art. 6 Abs. 1 EM­RK: EGMR, Ent­schei­dung vom 22. No­vem­ber 2001 a.a.O.). Dies gilt für be­am­te­te und ta­rif­be­schäf­tig­te Leh­rer glei­cher­ma­ßen, weil bei­de Be­schäf­tig­ten­grup­pen glei­che Auf­ga­ben ha­ben. Dem ent­spricht, dass Leh­rer kei­ne Auf­ga­ben wahr­neh­men, die we­gen ih­rer ho­heit­li­chen Prä­gung nach Art. 33 Abs. 4 GG in der Re­gel Be­am­ten vor­be­hal­ten sind. Die öf­fent­li­chen Schu­len ge­hö­ren nicht zu den­je­ni­gen Be­rei­chen der öf­fent­li­chen Ver­wal­tung, in de­nen schwer­punkt­mä­ßig ho­heits­recht­li­che Be­fug­nis­se aus­ge­übt wer­den (BVerfG, Be­schluss vom 19. Sep­tem­ber 2007 - 2 BvF 3/02 - BVerf­GE 119, 247 <267>). Da­her ha­ben die Dienst­herrn die Wahl, ob sie die Leh­rer als Be­am­te oder als Ta­rif­be­schäf­tig­te be­schäf­ti­gen. Dem­entspre­chend ver­fol­gen die Bun­des­län­der als per­so­nel­le Schul­trä­ger ei­ne sehr un­ter­schied­li­che, mit­un­ter wech­seln­de Per­so­nal­po­li­tik (zum Gan­zen: Bat­tis, Streik­ver­bot für Be­am­te, 2013, S. 19).

47 6. Das um­fas­sen­de Ver­bot kol­lek­ti­ver Kampf­maß­nah­men nach Art. 33 Abs. 5 GG und die nach Art. 11 Abs. 2 EM­RK zu­läs­si­gen Ein­schrän­kun­gen der kon­ven­ti­ons­recht­li­chen Ko­ali­ti­ons­frei­heit sind in­halt­lich un­ver­ein­bar:

48 Das ver­fas­sungs­recht­li­che Ver­bot ist sta­tus­be­zo­gen; es gilt für al­le Be­am­ten un­ab­hän­gig von ih­rem Auf­ga­ben­be­reich. Die Ar­beits­be­din­gun­gen für die An­ge­hö­ri­gen des öf­fent­li­chen Diens­tes wer­den je nach ih­rem Per­so­nal­sta­tus auf un­ter­schied­li­che Wei­se fest­ge­legt, auch wenn sie die glei­chen Auf­ga­ben wahr­neh­men. Dies wird am Bei­spiel der Leh­rer an öf­fent­li­chen Schu­len be­son­ders deut­lich: Die Ar­beits­be­din­gun­gen be­am­te­ter Leh­rer wer­den nor­ma­tiv fest­ge­legt, so­dass für Kol­lek­tiv­ver­hand­lun­gen zwi­schen Dienst­herrn und Ge­werk­schaf­ten mit dem Ziel der ta­rif­ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­rung der Ar­beits­be­din­gun­gen kein Raum ist. Kol­lek­ti­ve Kampf­maß­nah­men zur Ver­än­de­rung der Ar­beits­be­din­gun­gen sind ge­ne­rell un­zu­läs­sig. Da­ge­gen wer­den die Ar­beits­be­din­gun­gen der ta­rif­be­schäf­tig­ten Kol­le­gen zwi­schen den Ta­rif­par­tei­en aus­ge­han­delt und ver­ein­bart; kol­lek­ti­ve Kampf­maß­nah­men sind als Druck­mit­tel wäh­rend der Ver­hand­lun­gen nach Ma­ß­ga­be des deut­schen Ar­beits­kampf­rechts zu­läs­sig.

49 Dem­ge­gen­über lässt Art. 11 Abs. 2 EM­RK ein ge­ne­rel­les Ver­bot von Kol­lek­tiv­ver­hand­lun­gen und dar­auf be­zo­ge­nen Kampf­maß­nah­men, das an den Per­so­nal­sta­tus an­knüpft, in der öf­fent­li­chen Ver­wal­tung ge­ra­de nicht zu. Ein der­ar­ti­ges Ver­bot kann nur funk­tio­nal, d.h. durch den Auf­ga­ben­be­reich, ge­recht­fer­tigt wer­den. Den An­ge­hö­ri­gen des öf­fent­li­chen Diens­tes und ih­ren Ge­werk­schaf­ten kann das Recht auf Kol­lek­tiv­ver­hand­lun­gen und dar­auf be­zo­ge­ne Kampf­maß­nah­men ge­ne­rell nur ver­wehrt wer­den, wenn sie an der Aus­übung von ho­heit­li­chen Be­fug­nis­sen zu­min­dest be­tei­ligt sind. Dies gilt für al­le An­ge­hö­ri­gen der Ho­heits­ver­wal­tung un­ab­hän­gig da­von, ob sie Be­am­te oder Ta­rif­be­schäf­tig­te sind. In den an­de­ren Be­rei­chen der öf­fent­li­chen Ver­wal­tung kön­nen die­se Ge­währ­leis­tun­gen der kon­ven­ti­ons­recht­li­chen Ko­ali­ti­ons­frei­heit auch für die dort be­schäf­tig­ten Be­am­ten - an­ders als es Art. 33 Abs. 5 GG vor­sieht - nicht um­fas­send aus­ge­schlos­sen wer­den.

50 Dies gilt un­ge­ach­tet des­sen, dass auf­grund der ho­heit­li­chen Re­ge­lung der Ar­beits­be­din­gun­gen in der deut­schen Rechts­ord­nung kei­ne ta­rif­fä­hi­ge Si­tua­ti­on für Be­am­te be­steht. Die Eu­ro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on stellt ein au­to­no­mes völ­ker­recht­li­ches Re­gel­werk dar, des­sen Be­deu­tung für die Rechts­ord­nung der Kon­ven­ti­ons­staa­ten nicht in Ab­re­de ge­stellt wer­den kann, wenn das na­tio­na­le Recht Be­son­der­hei­ten auf­weist, die in Wi­der­spruch zur Eu­ro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on ste­hen (zum Gan­zen: Sei­fert, KritV 2009, 357 f.; Schu­bert, AöR 2012, 92 f.; Traul­sen, JZ 2013, 65 ff.).

51 Da­her ver­stieß die Teil­nah­me der Klä­ge­rin an den Warn­streiks ge­gen das Ver­bot nach Art. 33 Abs. 5 GG, war aber durch Art. 11 EM­RK ge­deckt. Nach den tat­säch­li­chen Fest­stel­lun­gen des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts, die den Se­nat nach § 137 Abs. 2 Vw­GO bin­den, steht fest, dass die Warn­streiks nach deut­schem Ar­beits­kampf­recht recht­mä­ßig wa­ren. Die Ge­werk­schaft GEW be­fand sich in Ta­rif­ver­hand­lun­gen über die Ver­gü­tung der ta­rif­be­schäf­tig­ten Leh­rer und streb­te die Über­nah­me der Ta­rif­ab­schlüs­se in die ge­setz­li­che Be­am­ten­be­sol­dung an. Zwi­schen den Ta­rif­ab­schlüs­sen für den öf­fent­li­chen Dienst und der Be­am­ten­be­sol­dung be­steht ein recht­li­cher Zu­sam­men­hang auf­grund der Bin­dun­gen, de­nen die Be­sol­dungs­ge­setz­ge­ber auf­grund des Ali­men­ta­ti­ons­grund­sat­zes nach Art. 33 Abs. 5 GG un­ter­lie­gen. Al­ler­dings war die Be­rech­ti­gung der Klä­ge­rin nach Art. 11 EM­RK nicht ge­eig­net, ih­re be­am­ten­recht­li­che Pflich­ten­stel­lung zu ver­än­dern. An­ge­sichts des ent­ge­gen ste­hen­den ver­fas­sungs­recht­li­chen Ver­bots be­dür­fen die Ge­währ­leis­tun­gen des Art. 11 EM­RK ei­ner Um­set­zung durch den Ge­setz­ge­ber, um Rechts­wir­kun­gen für den ein­zel­nen Be­am­ten zu ent­fal­ten (vgl. un­ter 8.).

52 7. Die Eu­ro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on ist Be­stand­teil der deut­schen Rechts­ord­nung im Rang ei­nes Bun­des­ge­set­zes (Ge­setz vom 7. Au­gust 1952, BGBl II S. 685 in der hier ma­ß­geb­li­chen Fas­sung der Be­kannt­ma­chung vom 17. Mai 2002, BGBl II S. 1054). Dies be­deu­tet nicht, dass sich in­halt­lich ent­ge­gen ste­hen­des Ver­fas­sungs­recht im Kol­li­si­ons­fall be­reits auf­grund des hö­he­ren Rangs durch­setzt. Zum ei­nen ist die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land völ­ker­ver­trags­recht­lich ver­pflich­tet, der Kon­ven­ti­on (in ih­rer Aus­le­gung durch den EGMR) in­ner­staat­li­che Gel­tung zu ver­schaf­fen, d.h. das deut­sche Recht grund­sätz­lich kon­ven­ti­ons­kon­form zu ge­stal­ten (vgl. Art. 1 EM­RK). Zum an­de­ren folgt die­se Ver­pflich­tung aus dem Ver­fas­sungs­grund­satz der Völ­ker­rechts­freund­lich­keit des Grund­ge­set­zes (BVerfG, Be­schluss vom 14. Ok­to­ber 2004 - 2 BvR 1481/04 - BVerf­GE 111, 307 <322 f.> = NJW 2004, 3407 <3408 f.>; Ur­teil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a. - BVerf­GE 128, 326 <371 f.> = NJW 2011, 1931 Rn. 93 f.).

53 Da­her muss die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land si­cher­stel­len, dass ih­re Rechts­ord­nung in der Ge­samt­heit nach Mög­lich­keit mit der Kon­ven­ti­on über­ein­stimmt. Die­se dient als Aus­le­gungs­hil­fe für die Be­stim­mung von In­halt und Reich­wei­te der Grund­rech­te und der rechts­staat­li­chen Grund­sät­ze des Grund­ge­set­zes, so­fern dies nicht zu ei­ner Min­de­rung des Grund­rechts­schut­zes nach dem Grund­ge­setz führt. Die Ver­wal­tung und ins­be­son­de­re die Ge­rich­te sind ver­pflich­tet, im Rah­men ih­rer Be­fug­nis­se das ge­sam­te in­ner­staat­li­che Recht in Ein­klang mit der Eu­ro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on aus­zu­le­gen (Ge­bot der kon­ven­ti­ons­kon­for­men Aus­le­gung). Al­ler­dings setzt ei­ne der­ar­ti­ge Aus­le­gung vor­aus, dass sie nach den an­er­kann­ten Me­tho­den der Ge­set­zes­aus­le­gung und Ver­fas­sungs­in­ter­pre­ta­ti­on ver­tret­bar er­scheint. Auch ist zu be­rück­sich­ti­gen, wel­che Fol­gen die Gel­tung ei­nes kon­ven­ti­ons­recht­li­chen Rechts­grund­sat­zes für das Re­ge­lungs­ge­fü­ge ei­nes na­tio­na­len Teil­rechts­sys­tems hat (BVerfG, Be­schluss vom 14. Ok­to­ber 2004 a.a.O. S. 327 und 329 bzw. 3410; Ur­teil vom 4. Mai 2011 a.a.O. S. 371 bzw. Rn. 93).

54 Es liegt na­he, dass für die kon­ven­ti­ons­kon­for­me Aus­le­gung die­je­ni­gen Re­geln An­wen­dung fin­den, die für die ver­fas­sungs­kon­for­me Aus­le­gung ent­wi­ckelt wor­den sind. Dem­nach fin­det auch die­se Aus­le­gung ih­re Gren­ze in dem ein­deu­ti­gen Wort­laut der Norm so­wie in dem er­kenn­ba­ren Wil­len des Ge­setz­ge­bers; sie darf Wort­laut und ge­setz­ge­be­ri­schem Wil­len nicht wi­der­spre­chen (Ur­teil vom 28. Fe­bru­ar 2013 - BVer­wG 2 C 3.12 - BVer­w­GE 146, 98 Rn. 49).

55 Die völ­ker- und ver­fas­sungs­recht­li­che Pflicht, der Eu­ro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on in­ner­staat­lich Gel­tung zu ver­schaf­fen, er­le­digt sich nicht, wenn ei­ne voll­stän­di­ge An­pas­sung des na­tio­na­len Rechts an ei­nen kon­ven­ti­ons­recht­li­chen Rechts­grund­satz im We­ge der kon­ven­ti­ons­kon­for­men Aus­le­gung des in­ner­staat­li­chen Rechts nicht mög­lich ist. Viel­mehr tritt der Rechts­grund­satz nur zu­rück, wenn nur auf die­se Wei­se ein Ver­stoß ge­gen tra­gen­de Ver­fas­sungs­grund­sät­ze ab­zu­wen­den ist (BVerfG, Be­schluss vom 14. Ok­to­ber 2004 a.a.O. S. 329).

56 8. Nach die­sen Maß­stä­ben ist das sta­tus­be­zo­ge­ne be­am­ten­recht­li­che Streik­ver­bot nach wie vor gel­ten­des Recht bis zu ei­ner Auf­lö­sung der dar­ge­stell­ten Kol­li­si­ons­la­ge durch den da­zu al­lein be­ru­fe­nen Ge­setz­ge­ber.

57 a) Die ver­fas­sungs- und völ­ker­recht­li­che Ver­pflich­tung, die Vor­ga­ben des Art. 11 EM­RK zur Ko­ali­ti­ons­frei­heit der An­ge­hö­ri­gen des öf­fent­li­chen Diens­tes in die deut­sche Rechts­ord­nung zu in­te­grie­ren, kann nicht durch ei­ne kon­ven­ti­ons­kon­for­me Aus­le­gung des Art. 33 Abs. 5 GG er­füllt wer­den (a.A. VG Kas­sel, Ur­teil vom 27. Ju­li 2011 - 28 K 574/10.​KS.D - ZBR 2011, 386; Po­la­kie­wicz/Kess­ler, NVwZ 2012, 841 <844>). Wie un­ter 4. dar­ge­stellt gel­ten die her­ge­brach­ten Grund­sät­ze des Be­rufs­be­am­ten­tums mit dem­je­ni­gen In­halt, der sich im tra­di­ti­ons­bil­den­den Zeit­raum her­aus­ge­bil­det hat. Die­ser Tra­di­ti­ons­be­stand darf nicht im We­ge der Aus­le­gung ge­än­dert wer­den. Viel­mehr kann al­lein der Ge­setz­ge­ber den Gel­tungs­an­spruch ei­nes her­ge­brach­ten Grund­sat­zes in Wahr­neh­mung sei­nes Auf­trags zur Re­ge­lung und Fort­ent­wick­lung des Be­am­ten­rechts in Gren­zen ein­schrän­ken.

58 Auf­grund des­sen ist ei­ne Auf­lö­sung der Kol­li­si­ons­la­ge im We­ge rich­ter­li­cher Rechts­fort­bil­dung nicht mög­lich. In­so­weit un­ter­schei­det sich der Ge­gen­stand des vor­lie­gen­den Rechts­streits von dem Streit über Gel­tung und Reich­wei­te der Ko­ali­ti­ons­frei­heit in kirch­li­chen Ein­rich­tun­gen, für den das Bun­des­ar­beits­ge­richt in der Tra­di­ti­on die­ses durch Rich­ter­recht ge­präg­ten Rechts­ge­biets, oh­ne durch ei­nen ent­spre­chen­den Ge­set­zes­vor­be­halt ein­ge­schränkt zu sein, ei­ne Lö­sung in Ge­stalt des sog. „Drit­ten Wegs“ ent­wi­ckelt hat (BAG, Ur­teil vom 20. No­vem­ber 2012 - 1 AZR 179/11 - BA­GE 143, 354 Rn. 118 ff.)

59 Auf­grund der kon­kur­rie­ren­den Ge­setz­ge­bungs­zu­stän­dig­keit des Bun­des für das Sta­tus­recht der Be­am­ten nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG ist es Sa­che des Bun­des­ge­setz­ge­bers, dar­über zu ent­schei­den, ob und in­wie­weit die ver­fas­sungs­un­mit­tel­ba­re Gel­tung des sta­tus­be­zo­ge­nen Ver­bots kol­lek­ti­ver Kampf­maß­nah­men für Be­am­te im Hin­blick auf die Ge­währ­leis­tun­gen des Art. 11 EM­RK ein­ge­schränkt wer­den soll.

60 b) Das Ver­bot kol­lek­ti­ver Kampf­maß­nah­men muss für die­je­ni­gen Be­am­ten von vorn­her­ein nicht re­la­ti­viert wer­den, die in den von Art. 33 Abs. 4 GG er­fass­ten Be­rei­chen der öf­fent­li­chen Ver­wal­tung tä­tig sind. Nach die­ser Vor­schrift ist die Aus­übung ho­heits­recht­li­cher Be­fug­nis­se als stän­di­ge Auf­ga­be in der Re­gel An­ge­hö­ri­gen des öf­fent­li­chen Diens­tes zu über­tra­gen, die in ei­nem öf­fent­lich-recht­li­chen Dienst- und Treue­ver­hält­nis ste­hen. Dem­nach muss der Dienst­herr zur Er­fül­lung der Auf­ga­ben der ge­nu­in ho­heit­li­chen Ver­wal­tung re­gel­mä­ßig Be­am­te ein­set­zen; ei­ne Wahl zwi­schen dem Ein­satz von Be­am­ten und Ta­rif­be­schäf­tig­ten be­steht in­so­weit nicht. Die­ser Be­am­ten­vor­be­halt fin­det sei­ne Recht­fer­ti­gung dar­in, dass der Be­am­ten­sta­tus auf­grund der be­son­de­ren Rech­te- und Pflich­ten­stel­lung be­son­de­re Ge­währ für ei­ne qua­li­fi­zier­te, loya­le und ge­set­zes­treue Auf­ga­ben­er­fül­lung bie­tet (BVerfG, Be­schluss vom 19. Sep­tem­ber 2007 - 2 BvF 3/02 - BVerf­GE 119, 247 <261>; Ur­teil vom 18. Ja­nu­ar 2012 - 2 BvR 133/10 - BVerf­GE 130, 76 <111 f.>). Da­mit ver­weist Art. 33 Abs. 4 GG auf die be­son­de­ren Ver­läss­lich­keits- und Rechts­staat­lich­keits­ga­ran­ti­en des Be­rufs­be­am­ten­tums, die durch Art. 33 Abs. 5 GG ver­fas­sungs­recht­lich ab­ge­si­chert sind.

61 Die An­nah­me liegt na­he, dass die Ver­wal­tung, in der ho­heits­recht­li­che Be­fug­nis­se im Sin­ne des Art. 33 Abs. 4 GG aus­ge­übt wer­den, der Staats­ver­wal­tung im Sin­ne des Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EM­RK ent­spricht, für de­ren An­ge­hö­ri­ge die durch Art. 11 Abs. 1 EM­RK ge­währ­leis­te­ten Rech­te auf Kol­lek­tiv­ver­hand­lun­gen und die­se be­glei­ten­den kol­lek­ti­ven Kampf­maß­nah­men ein­ge­schränkt wer­den kön­nen. Zur ge­nu­in ho­heit­li­chen Ver­wal­tung in die­sem Sin­ne dürf­ten ne­ben den Streit­kräf­ten und der Po­li­zei sons­ti­ge Ord­nungs­kräf­te, Rechts­pfle­ge, Steu­er­ver­wal­tung, Di­plo­ma­tie so­wie Ver­wal­tungs­stel­len auf Bun­des-, Lan­des- und Kom­mu­nal­ebe­ne ge­hö­ren, die mit der Aus­ar­bei­tung von Rechts­ak­ten, de­ren Durch­füh­rung und mit ho­heit­li­chen Auf­sichts­funk­tio­nen be­traut sind. Nicht er­fasst sein dürf­ten et­wa die staat­li­chen Bil­dungs- und Wis­sen­schafts­ein­rich­tun­gen und sons­ti­ge Ein­rich­tun­gen der Da­seins­vor­sor­ge un­ab­hän­gig von ih­rer Rechts­form (vgl. Traul­sen, JZ 2013, 65 <69 f.>). Die prak­ti­ka­ble Ab­gren­zung der Be­rei­che ob­liegt dem Ge­setz­ge­ber.

62 c) Für die­je­ni­gen Be­rei­che der öf­fent­li­chen Ver­wal­tung, die nicht zur ge­nu­in ho­heit­li­chen Ver­wal­tung im Sin­ne von Art. 33 Abs. 4 GG, Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EM­RK ge­hö­ren, ob­liegt es der ver­fas­sungs­recht­lich nicht ge­bun­de­nen Ent­schei­dung der Dienst­herrn, ob sie zur Auf­ga­ben­er­fül­lung Be­am­te oder Ta­rif­be­schäf­tig­te ein­set­zen (BVerfG, Be­schluss vom 19. Sep­tem­ber 2007 a.a.O. S. 267; Ur­teil vom 14. Fe­bru­ar 2012 - 2 BvL 4/10 - BVerf­GE 130, 263 <297 f.>). Da­her kön­nen die Dienst­herrn die Kol­li­si­ons­la­ge zwi­schen dem Ver­bot des Art. 33 Abs. 5 GG und den Ge­währ­leis­tun­gen des Art. 11 EM­RK, die für die hier be­schäf­tig­ten Be­am­ten be­steht, auf Dau­er da­durch auf­lö­sen, dass sie für die­se Ver­wal­tungs­be­rei­che, et­wa im öf­fent­li­chen Schul­we­sen, künf­tig nur noch Ta­rif­be­schäf­tig­te ein­stel­len (vgl. jetzt schon § 5 BBG, § 3 Abs. 2 Be­amtStG). Au­ßer­dem ist au­ßer­halb des Be­reichs des Art. 33 Abs. 4 GG an ein Wahl­recht der Be­wer­ber zu den­ken, als Be­am­te oder als Ta­rif­be­schäf­tig­te ein­ge­setzt zu wer­den, ggf. auch an ein Wahl­recht für be­reits er­nann­te Be­am­te, in die­sem Sta­tus zu blei­ben oder in ein Ta­rif­be­schäf­tig­ten­ver­hält­nis zu wech­seln (vgl. Schu­bert, AöR 2012, 92 <116>).

63 Die vor­han­de­nen Be­am­ten kön­nen die von Art. 11 EM­RK ver­mit­tel­ten Rech­te auf Ta­rif­ver­hand­lun­gen und kol­lek­ti­ve Kampf­maß­nah­men der­zeit nicht durch­set­zen: Zum ei­nen be­steht auf­grund der ein­sei­tig ho­heit­li­chen Fest­le­gung der Ar­beits­be­din­gun­gen kei­ne ta­rif­fä­hi­ge Si­tua­ti­on, so­dass kol­lek­ti­ve Kampf­maß­nah­men nach deut­schem Ar­beits­kampf­recht schon aus die­sem Grund nicht in Be­tracht kom­men. Zum an­de­ren er­streckt sich das sta­tus­be­zo­ge­ne Ver­bot kol­lek­ti­ver Kampf­maß­nah­men nach Art. 33 Abs. 5 GG auch auf die Un­ter­stüt­zung der­ar­ti­ger Maß­nah­men der Ta­rif­be­schäf­tig­ten.

64 Da­von aus­ge­hend muss der Ge­setz­ge­ber für die Be­am­ten au­ßer­halb der ge­nu­in ho­heit­li­chen Ver­wal­tung nach dem Grund­satz der prak­ti­schen Kon­kor­danz ei­nen Aus­gleich der sich ge­gen­sei­tig aus­schlie­ßen­den Rechts­po­si­tio­nen aus Art. 33 Abs. 5 GG und Art. 11 EM­RK her­bei­füh­ren. Zur Auf­lö­sung die­ser Kol­li­si­ons­la­ge ste­hen ihm in­so­weit ver­schie­de­ne Mög­lich­kei­ten of­fen, die be­reits jetzt in der Li­te­ra­tur dis­ku­tiert wer­den: Er­for­der­lich er­scheint je­den­falls ei­ne er­heb­li­che Er­wei­te­rung der Be­tei­li­gungs­rech­te der Ge­werk­schaf­ten in Rich­tung ei­nes Ver­hand­lungs­mo­dells. Die der­zeit ein­ge­räum­ten Be­tei­li­gungs­rech­te nach § 118 BBG, § 53 Be­amtStG ge­nü­gen nicht (Schu­bert, a.a.O. S. 109 f.). In Be­tracht kommt fer­ner ein Ver­hand­lungs- und Schlich­tungs­mo­dell un­ter pa­ri­tä­ti­scher Be­tei­li­gung der Ge­werk­schaf­ten in der Art des „Drit­ten Wegs“, wie es das Bun­des­ar­beits­ge­richt für die Ein­rich­tun­gen der Kir­chen ent­wi­ckelt hat (Grei­ner, DÖV 2013, 623 <625 f.>; BAG, Ur­teil vom 20. No­vem­ber 2012 a.a.O.).

65 Er­wei­ter­te Be­tei­li­gungs­rech­te än­dern nichts dar­an, dass kol­lek­ti­ve Kampf­maß­nah­men von Be­am­ten als Druck­mit­tel zur Durch­set­zung kon­kre­ter Ar­beits­be­din­gun­gen „ech­te“ Ta­rif­ver­hand­lun­gen über die Ge­stal­tung der Ar­beits­be­din­gun­gen der Be­am­ten und da­mit ei­ne Ab­kehr von der ho­heit­li­chen Re­ge­lung des Be­am­ten­ver­hält­nis­ses vor­aus­set­zen. Ei­ne Öff­nung des Be­am­ten­rechts für ei­ne ta­rif­au­to­no­me Ge­stal­tung kommt für den Be­reich der in­ner­dienst­li­chen, so­zia­len und per­so­nel­len An­ge­le­gen­hei­ten der Be­am­ten in Be­tracht, wenn und so­weit die­se auf der Dienst­el­len­ebe­ne durch Dienst­ver­ein­ba­run­gen mit dem Per­so­nal­rat ge­re­gelt wer­den kön­nen (Sei­fert, KritV 2009, 357 <373>).

66 Ei­ne dar­über hin­aus­ge­hen­de Ta­rif­au­to­no­mie stellt den durch Art. 33 Abs. 4 und Abs. 5 GG vor­ge­ge­be­nen Cha­rak­ter des Be­am­ten­ver­hält­nis­ses als öf­fent­lich-recht­li­ches Dienst- und Treue­ver­hält­nis in Fra­ge. Es ist zu be­sor­gen, dass der prä­gen­de, durch Art. 33 Abs. 5 GG vor­ge­ge­be­ne In­halt grund­le­gen­der Be­am­ten­pflich­ten wie der Pflich­ten zum vol­len be­ruf­li­chen Ein­satz oder zur Loya­li­tät an­ge­tas­tet wür­de, wenn die­se Pflich­ten ta­rif­ver­trag­lich kon­kre­ti­siert wer­den könn­ten. Bei­spiel­haft ist an die Pflicht zur un­ent­gelt­li­chen und ge­ring ver­gü­te­ten Mehr­ar­beit zu den­ken. Bei ei­nem Weg­fall oder ei­ner Ab­schwä­chung der­ar­ti­ger Pflich­ten ent­fällt die Recht­fer­ti­gung für die le­bens­lan­ge Ali­men­ta­ti­on. Ent­spre­chen­des gilt für Al­ters­gren­zen für die Ein­stel­lung und den Ein­tritt in den Ru­he­stand, die ei­ne an­ge­mes­se­ne, die le­bens­lan­ge Al­ters­ver­sor­gung der Be­am­ten recht­fer­ti­gen­de Dau­er der Dienst­leis­tungs­ver­pflich­tung si­cher­stel­len (Ur­teil vom 23. Fe­bru­ar 2012 - BVer­wG 2 C 76.10 - BVer­w­GE 142, 59 = Buch­holz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 54, je­weils Rn. 18 f.).

67 Ei­ne Son­der­stel­lung nimmt al­ler­dings die Be­am­ten­be­sol­dung ein. De­ren Ent­wick­lung steht seit je­her in ei­nem en­gen, durch den Ali­men­ta­ti­ons­grund­satz nach Art. 33 Abs. 5 GG ver­mit­tel­ten Zu­sam­men­hang mit der Ent­wick­lung der Ge­häl­ter der Ta­rif­be­schäf­tig­ten, d.h. mit den Ta­rif­ab­schlüs­sen für den öf­fent­li­chen Dienst. Die nach Art. 33 Abs. 5 GG ge­bo­te­ne Amts­an­ge­mes­sen­heit der Ali­men­ta­ti­on be­misst sich vor al­lem auf­grund ei­nes Ver­gleichs mit den Net­to­ein­kom­men der Ta­rif­be­schäf­tig­ten des öf­fent­li­chen Diens­tes. Vor­ran­gig an­hand die­ses Maß­stabs ist zu be­ur­tei­len, ob die Be­am­ten­be­sol­dung ver­fas­sungs­wid­rig von der all­ge­mei­nen Ein­kom­mens­ent­wick­lung ab­ge­kop­pelt wird. Dies dürf­te der Fall sein, wenn der Ge­setz­ge­ber die Be­sol­dungs­ent­wick­lung an Pa­ra­me­ter knüpft, die die Ta­rif­ab­schlüs­se für den öf­fent­li­chen Dienst nicht mehr in den Blick neh­men (BVerfG, Ur­teil vom 27. Sep­tem­ber 2005 - 2 BvR 1387/02 - BVerf­GE 114, 258 <293 f.>; Be­schlüs­se vom 20. März 2007 - 2 BvL 11/04 - BVerf­GE 117, 372 <388>; BVer­wG, Ur­tei­le vom 20. März 2008 - BVer­wG 2 C 49.07 - BVer­w­GE 131, 20 = Buch­holz 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 94, je­weils Rn. 26 und vom 23. Ju­li 2009 - BVer­wG 2 C 76.08 - Buch­holz 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 108 Rn. 7 und 13).

68 Auf­grund die­ser Be­son­der­hei­ten kann die Be­am­ten­be­sol­dung in die Ta­rif­ver­hand­lun­gen für den öf­fent­li­chen Dienst ein­be­zo­gen wer­den, oh­ne die Ba­lan­ce des be­am­ten­recht­li­chen Re­ge­lungs­ge­fü­ges zu ge­fähr­den. Dies hät­te zur Fol­ge, dass die Ge­werk­schaf­ten der Be­am­ten an den Ta­rif­ver­hand­lun­gen teil­neh­men und sich die Be­am­ten au­ßer­halb der von Art. 33 Abs. 4 GG er­fass­ten Be­rei­che der öf­fent­li­chen Ver­wal­tung in­so­weit an kol­lek­ti­ven Kampf­maß­nah­men be­tei­li­gen könn­ten.

69 Es kann da­hin­ge­stellt blei­ben, ob die en­gen Gren­zen ei­ner ta­rif­ver­trag­li­chen Ge­stal­tung des Be­am­ten­rechts für die Be­am­ten au­ßer­halb der ge­nu­in ho­heit­li­chen Ver­wal­tung auf Dau­er auch dann auf­recht­erhal­ten wer­den kön­nen, wenn sich die Dienst­herrn wei­ter­hin für den Ein­satz von Be­am­ten an Stel­le oder zu­sam­men mit Ta­rif­be­schäf­tig­ten ent­schei­den. Auf­grund der neue­ren Recht­spre­chung des EGMR zu Art. 11 EM­RK be­steht je­den­falls ge­setz­ge­be­ri­scher Hand­lungs­be­darf.

70 9. Art. 28 der Eu­ro­päi­schen Grund­rech­te­char­ta (Eu­GrCh), der ein Recht auf Kol­lek­tiv­ver­hand­lun­gen und kol­lek­ti­ve Ar­beits­kampf­maß­nah­men ein­schlie­ß­lich Streiks ge­währ­leis­tet, ist nicht an­wend­bar.

71 Die Char­ta gilt nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 Eu­GrCh für die Mit­glied­staa­ten aus­schlie­ß­lich bei der Durch­füh­rung des Rechts der Uni­on. Nach Art. 51 Abs. 2 Eu­GrCh dehnt sie den Gel­tungs­be­reich des Uni­ons­rechts nicht über die Zu­stän­dig­kei­ten der Uni­on aus; sie be­grün­det we­der neue Zu­stän­dig­kei­ten noch neue Auf­ga­ben der Uni­on (vgl. Eu­GH, Ur­teil vom 26. Fe­bru­ar 2013 - Rs. C-617/10 - Åker­berg Frans­son, NJW 2013, 1415 Rn. 19 ff.). Da­her ist das Recht der Mit­glied­staa­ten nur dann an den Grund­rech­ten der Char­ta zu mes­sen, wenn es in den Gel­tungs­be­reich des Uni­ons­rechts fällt (vgl. Eu­GH, Ur­teil vom 26. Fe­bru­ar 2013 a.a.O. Rn. 19; BVerfG, Ur­teil vom 24. April 2013 - 1 BvR 1215/07 - NJW 2013, 1499 Rn. 90). Dies ist ins­be­son­de­re der Fall, wenn na­tio­na­les Recht er­las­sen wird, um ei­ne uni­ons­recht­li­che Um­set­zungs­pflicht zu er­fül­len.

72 Auf­grund des­sen be­steht bei Re­ge­lun­gen des kol­lek­ti­ven Ar­beits­rechts - gleich wel­chen In­halts - kei­ne Bin­dung an Art. 28 Eu­GrCh, weil die­ses Rechts­ge­biet nicht nach in­halt­li­chen Vor­ga­ben des Uni­ons­rechts zu ge­stal­ten ist. Auch nimmt Art. 28 Eu­GrCh aus­drück­lich auf die ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und Ge­pflo­gen­hei­ten Be­zug. Es kommt nicht dar­auf an, ob und in­wie­weit es ei­ne Recht­set­zungs­kom­pe­tenz der Eu­ro­päi­schen Uni­on er­mög­licht, auch Re­ge­lun­gen des kol­lek­ti­ven Ar­beits­rechts zu er­las­sen (Nie­do­b­itek, ZBR 2010, 361 <364>).

73 10. Hät­te sich die an­ge­foch­te­ne Dis­zi­pli­nar­ver­fü­gung nicht wäh­rend des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens er­le­digt, wä­re der Se­nat be­rech­tigt ge­we­sen, die an­ge­mes­se­ne Dis­zi­pli­nar­maß­nah­me un­ter Be­ach­tung des Ver­schlech­te­rungs­ver­bots auf­grund ei­ner ei­ge­nen Be­mes­sungs­ent­schei­dung nach § 13 Abs. 2 Satz 1 bis 4 LDG NRW fest­zu­set­zen (Ur­tei­le vom 15. De­zem­ber 2005 - BVer­wG 2 A 4/04 - Buch­holz 235.1 § 24 BDG Nr. 1 Rn. 23, vom 27. Ju­ni 2013 - BVer­wG 2 A 2.12 - IÖD 2013, 257 Rn. 9 und vom 25. Ju­li 2013 - BVer­wG 2 C 63.11 - NVwZ-RR 2014, 105 Rn. 9).

74 Die drei­ma­li­ge Ver­let­zung der Dienst­leis­tungs­pflicht lös­te ein dis­zi­pli­nar­recht­li­ches Sank­ti­ons­be­dürf­nis aus. Die Ge­währ­leis­tun­gen des Art. 11 EM­RK wa­ren nicht ge­eig­net, das ver­fas­sungs­recht­li­che Streik­ver­bot oh­ne ein Tä­tig­wer­den des Ge­setz­ge­bers au­ßer Kraft zu set­zen. In An­be­tracht der Sach- und Rechts­la­ge hät­te der Se­nat al­ler­dings ei­ne Geld­bu­ße von 300 € für aus­rei­chend ge­hal­ten. Die Sank­tio­nie­rung dien­te dem Zweck, der Klä­ge­rin vor Au­gen zu füh­ren, dass der Dienst­herr ihr Ver­hal­ten nicht hin­nahm. Da­durch soll­te sie von Wie­der­ho­lun­gen ab­ge­hal­ten wer­den. Die Klä­ge­rin war dis­zi­pli­na­risch nicht vor­be­las­tet. Sie hat­te die Streik­teil­nah­me der Schul­lei­tung an­ge­kün­digt, so­dass die­se Ver­tre­tungs­re­ge­lun­gen tref­fen konn­te. Im Nach­hin­ein hat die Klä­ge­rin Ver­tre­tungs­stun­den in ei­nem Um­fang über­nom­men, der über den von ihr ver­ur­sach­ten Un­ter­richts­aus­fall hin­aus­ging.

75 Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 74 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 Vw­GO. Die Kos­ten­ver­tei­lung trägt dem Um­stand Rech­nung, dass die Klä­ge­rin ihr haupt­säch­li­ches An­lie­gen, ih­re Be­rech­ti­gung zur Streik­teil­nah­me fest­zu­stel­len, nicht er­reicht hat.