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Debatte um Kreationismus an Bekenntnisschulen

Politikredakteur
Ein Bild aus der Mary Evans Picture Library zeigt die Schöpfung, wie manche Christen sie sich vorstellen: Adam und Eva im Paradies Ein Bild aus der Mary Evans Picture Library zeigt die Schöpfung, wie manche Christen sie sich vorstellen: Adam und Eva im Paradies
Ein Bild aus der Mary Evans Picture Library zeigt die Schöpfung, wie manche Christen sie sich vorstellen: Adam und Eva im Paradies
Quelle: picture alliance / Mary Evans Pi
Mehr als Philosophie? Der Verband evangelischer Bekenntnisschulen will die Naturwissenschaften für religiöse Deutungen öffnen. Wissenschaftler, evangelische Kirche und Schulministerien sind alarmiert.

Reinhold Leinfelder ist kein Gegner des Glaubens. Der Professor für Paläontologie und Geobiologie an der Freien Universität Berlin plädiert für konfessionellen Religionsunterricht. Und obwohl er in seiner Zeit als Generaldirektor des Berliner Naturkundemuseums (2006 bis 2010) viel mit bibeltreuen Gegnern der Evolutionstheorie stritt, sagt der 56-Jährige: "Gegen eine geeignete Behandlung der biblischen Schöpfungslehre im Schulunterricht ist nichts einzuwenden."

Scharf aber kritisiert er eine "Stellungnahme" zu "Evolution und Schöpfungslehre", die auf der Homepage des Verbandes Evangelischer Bekenntnisschulen (VEBS) steht. Hier würden "Schüler in grotesker Weise falsch über das Wesen der Wissenschaft unterrichtet", sagte Leinfelder der "Welt".

46 freie Schulen in NRW und Baden-Württemberg

Zum VEBS gehören 46 freie Schulen – von Grundschulen bis Gymnasien –, die staatlich bezuschusst werden und sich vor allem in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg finden. Sie bemühen sich um eine "ganzheitliche Orientierung der Unterrichtsinhalte am Deutungsrahmen der Bibel". Daraus folgt soziales Engagement, das oft gelobt wird.

Doch folgt daraus auch, die Naturwissenschaften nicht für die einzige sachgerechte Form des Umgangs mit den Befunden der Biologie oder Physik zu halten. Vielmehr scheint der VEBS auch eine andere Möglichkeit für die Entwicklung sinnvoller Hypothesen zur Entstehung von Universum und Leben zu sehen: die Bibel.

In jener Stellungnahme – empfohlen "zur Orientierung und Auseinandersetzung in den Fachkollegien in Religion und Naturwissenschaften" – heißt es: "Übernatürliche Schöpfung ist Ausgangspunkt für die Deutung naturwissenschaftlicher Daten. Die wissenschaftlichen Daten, die durch Schöpfung gedeutet werden, sind dieselben wie die Daten, die durch Evolution gedeutet werden. Die naturwissenschaftliche experimentelle Forschung unterscheidet sich methodisch nicht von Forschung im Rahmen der Evolutionsanschauung."

Demnach wäre eine Betrachtung empirischer Befunde im Licht der Bibel ("Evolutionsanschauung") methodisch gleichrangig mit der Naturwissenschaft. Zwar gibt es laut Text auch Unterschiede zwischen Religion und Wissenschaft, doch wird beansprucht, dass die Bibel naturwissenschaftlich relevant sei: "Der prinzipielle Ausschluss von anderen Antworttypen als Evolution ist Ausdruck einer Ideologisierung", heißt es da. Zwar solle "staatlichen Bildungsplänen Rechnung getragen" und die Evolutionstheorie vermittelt werden, aber: "Zur wissenschaftlichen Vorgehensweise gehört die Offenheit für verschiedene Antworten."

"Falsch und gefährlich"

Der Text stammt von Reinhard Junker, Geschäftsführer der "Studiengemeinschaft Wort und Wissen". Die bemüht sich seit Langem, biblische Schöpfungslehren als legitime Partner der Wissenschaft zu etablieren. Man will nicht im Verdacht des "Kreationismus" stehen (Gott schuf die Welt in sieben Tagen), beansprucht aber, "naturwissenschaftliche Daten, welche die Herkunft der Welt und des Lebens betreffen, im Kurzzeitrahmen der biblischen Urgeschichte zu deuten", wie es in einem Text von "Wort und Wissen" heißt

Für Leinfelder liegt in dieser behaupteten Wissenschaftlichkeit das Problem der von Junker verfassten Stellungnahme. Es sei "falsch und gefährlich", so Leinfelder, "die biblische Schöpfungslehre der Evolutionstheorie gleichberechtigt an die Seite zu stellen, wie es in diesen Empfehlungen beschrieben wird". Der Text suggeriere zwar, "dass man die wissenschaftliche Evolutionstheorie achten und würdigen wolle", praktiziere aber "das Gegenteil". Indem nämlich behauptet werde, "Wissenschaft sei bloß eine Philosophie, eine Art Weltanschauung, neben der gleichberechtigt die religiöse Weltanschauung stehen könnte", sodass man dann nach "Harmonisierungsmöglichkeiten" suchen müsse.

Die gebe es nicht, "weil Wissenschaft und Religion zwei völlig unterschiedliche Kategorien sind, die nicht dasselbe beschreiben". Leinfelder weiter: "Wenn die Evolutionstheorie bestimmte Phänomene nicht erklären kann oder Lücken in der Befundlage feststellt – was zum täglichen Brot der Wissenschaft gehört –, dann muss weiter geforscht, müssen die Hypothesen überprüft werden. Es besteht aber keinerlei Anlass, den Glauben in die Lücken springen zu lassen."

"Extrem verunklarend"

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Ein Problem ist die Stellungnahme für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die sich gegen jede Behauptung einer Gleichrangigkeit von Naturwissenschaft und Schöpfungslehre ausspricht. Ihr Arbeitskreis Evangelischer Schulen (AKES) als Plattform für Schulen in Trägerschaft von Diakonie und verfasster Kirche unterhält zwar keinerlei offiziellen Kontakte zum VEBS. Doch einige seiner Mitgliedsschulen arbeiten im AKES mit und veröffentlichen auf dessen Homepage ihre Grunddaten. Diese Schulen, so heißt es, seien im AKES in der Evolutionsdebatte nicht aufgefallen.

Dennoch sieht es Birgit Sendler-Koschel, Leiterin der Bildungsabteilung im EKD-Kirchenamt und eine der beiden AKES-Vorsitzenden, "kritisch, dass der VEBS diese Empfehlungen veröffentlicht hat", wie Sendler-Koschel der "Welt" sagte. Schließlich gebe es "für ‚evangelische Schule‘ ja keinen Markenschutz", sodass der Eindruck entstehen könne, "dass es sich hier um Empfehlungen für evangelische Schulen im Allgemeinen handelt"." Das aber sei nicht der Fall. "Vielmehr halten wir diese Empfehlungen für extrem verunklarend. Sie verwischen den grundlegenden erkenntnistheoretischen Unterschied zwischen einerseits den biblischen Schöpfungserzählungen und andererseits der naturwissenschaftlichen Forschung, wie sie in der Evolutionstheorie ihren Ausdruck findet."

Sie habe, so Sendler-Koschel, "den Eindruck, dass diese Empfehlungen einer der sich in den letzten Jahren häufenden Versuche sind, kreationistische Lehren an den Schulen unterzubringen". Hierüber sei bei Bedarf im Arbeitskreis zu sprechen. "Wir sind zwar nicht gewillt, dort kreationistischen Positionen ein Forum zu geben, aber falls nötig werden wir im Arbeitskreis deutlich machen, dass wir aus theologischen und schulpädagogischen Gründen diese Empfehlungen ablehnen."

Berlin und Baden-Württemberg unbesorgt

Deutlich kritisiert das nordrhein-westfälische Schulministerium von Ministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) den VEBS-Text: "Die geltende Rechtslage lässt keine Freiräume für die Behandlung des Themas ‚Schöpfung und Evolution‘ in der von Herrn Junker vorgeschlagenen Form zu", teilte das Ministerium auf Anfrage der "Welt" mit. Auch christliche Bekenntnisschulen seien an die geltenden Richtlinien und Lehrpläne gebunden, und laut denen werde im Biologieunterricht "ganz klar auf der Basis naturwissenschaftlich belegbarer Beweisführung Evolution unterrichtet".

Ganz anders das SPD-geführte Kultusministerium in Baden-Württemberg. Dort heißt es, laut jener Stellungnahme solle ja "den staatlichen Bildungsplänen Rechnung getragen werden". Und weitergehende Beurteilungen, "insbesondere zu den religiösen Bekenntnissen", könne das Ministerium "nicht vornehmen". Auch die Senatsverwaltung für Bildung in Berlin, wo es eine VEBS-Mitgliedschule gibt, sieht jene "Ausführungen zur Evolution und Schöpfungslehre an christlichen Bekenntnisschulen als durch das Gesetz gedeckt" an.

In der Tat ergibt sich für die Schulaufsicht aus jener Stellungnahme nicht unmittelbar ein Anlass zur Kontrolle, da jener Text nur eine Empfehlung ist und die Umsetzung "von den jeweiligen Lehrkräften abhängt", wie VEBS-Generalsekretär Berthold Meier betont. Doch nachfragen, wie es die Schulen mit dem Text halten, kann man ja. Was aber nicht einfach ist: Die Berliner VEBS-Migliedsschule, die Corrie-ten-Boom-Schule mit Grundschule und Sekundarschule in Prenzlauer Berg, teilte mit: "Wir äußern uns nicht zu dem Thema."

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