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Film Juliette Binoche

Diesen Kitsch hat die Berlinale nicht verdient

Redakteur Feuilleton
Immer mit einem Hauch von Park Avenue: Juliette Binoche wahrt als Polarforschergattin Josephine Diebitsch Peary auch in der Antarktis ihr Luxusgesicht Immer mit einem Hauch von Park Avenue: Juliette Binoche wahrt als Polarforschergattin Josephine Diebitsch Peary auch in der Antarktis ihr Luxusgesicht
Immer mit einem Hauch von Park Avenue: Juliette Binoche wahrt als Polarforschergattin Josephine Diebitsch Peary auch in der Antarktis ihr Luxusgesicht
Quelle: dpa
Mit „Nobody wants the night“ hat die Berlinale begonnen. Juliette Binoche spielt die Frau eines Polarforschers und sucht nach dem Sinn des Lebens. So ein Kitsch-Desaster hat kein Festival verdient.

„Park Avenue“, schreit die schmale Frau mit dem Gewehr im Arm, die im Schnee steht wie ein Persianermahnmal, „Park Avenue, hast du das gesehen.“ Die Frau hat gerade ihren ersten Eisbären geschossen und ist ziemlich besoffen von sich. So besoffen halt, wie eine alt gewordene New Yorker Modezicke, die sie zu darstellen sich bemüht, im Jahre 1908 eben sein kann. Ohne Alkohol.

Die Dame heißt Josephine Diebitsch Peary. Und die Geschichte, die Isabel Coixet in „Nobody wants the night“, dem diesjährigen Eröffnungsfilm der Berlinale erzählt, ist ihre Geschichte, die von Robert E. Peary, der Eroberung des Nordpols, des Aufeinanderpralls unvereinbarer Kulturen, von der Liebe, der Suche nach einem Sinn, einem Ziel und dem Preis, der dafür zu zahlen ist.

Das heißt: Es ist – damit geht der Ärger über dieses sentimentalische Culture-Clash-Melodram aus dem Geist der Siebziger los – nicht ihre Geschichte. Es ist ein Flickenteppich aus biografischem Material. Coixet hat den Lebenslauf der Josephine Peary auseinandergeschnitten, die Fetzen in einen Schneesturm geworfen und anschließend zu einem derart kitschigen Entwicklungsroman zusammengeflickt, dass jeder, der sich einigermaßen mit Pearys Leben auskennt, von der moralischen und symbolischen Überzuckerung, die Coixet da betreibt, Magenschmerzen bekommt (man bekommt allerdings auch ohne Kenntnis Magenschmerzen). Immerhin wird im Vorspann erwähnt, dass dieses vermeintliche Biopic inspiriert ist von der Geschichte verschiedener Figuren.

In der kalten Hütte am Ende der Welt

Josephine Peary (Juliette Binoche), jedenfalls wie sie da mit rotbrokatenem Kleid in der kalten Hütte am Ende der Welt herum läuft und, während sie auf ihren Helden wartet, solange an ihrer vermeintlich allem Wissen und Leben der Eingeborenen überlegenen Park-Avenue-Haftigkeit festhält, bis die letzte Kohle verbrannt ist, sie ist ein Konstrukt. Was ja eigentlich kein Schade sein muss.

Biopics sind schließlich keine Dokumentarfilme. Hier allerdings ist der Konstruktionsmutwille ein nicht ganz unwichtiger Baustein für die Errichtung dieser Ethno-Kitsch-Kathedrale. Außerdem beruft sich Coixet ständig dann doch auf Authentizität.

Alles stimmt, so aber nicht. Josephine Peary vergötterte ihren Gatten, der als erster auf dem letzten Punkt der Erde stehen wollte, auf dem noch niemand war. Und sie war bereit ihm überall hin zu folgen. Peary schrieb vor der Hochzeit: „Dass sie mich liebt, weiß ich; dass sie mich glücklich machen kann, denke ich; dass sie mich weniger als andere Frauen, die ich getroffen habe, behindern wird – dessen bin ich mir sicher.“

Ein letzter Versuch mit dem Pol

1893 fährt sie das erste Mal mit an den Polarkreis, lernt die Kultur der Inuit kennen, wird so etwas wie ihre erste Ethnografin, bringt in der arktischen Nacht ihre Tochter zur Welt. „Schneebaby“ nennen sie die Inuit. Ein paar Jahre später reist sie Robert hinterher. Trifft auf eine Inuit-Frau, die ihr stolz das Kind vorführt, das sie mit Peary, ihrem Zweitmann, bekommen hat. Versöhnung findet statt. 1909, es ist Pearys letzter Versuch mit dem Pol (beide sind über 50), wartet sie – erfolgreiche Buchautorin – in Washington. Und Peary liefert.

Isabel Coixet ist eigentlich die Idealbesetzung für Menschen in Extremsituationen. Eine Koryphäe für Filme vor allem über Frauen, im Ausnahmezustand, die in existenzielle Situationen Brücken zu anderen finden, die feine Bilder für extreme Situationen findet und in der Lage ist, die geheime Kraft der Worte in Filme zu bannen.

Die Inuit retten die weiße Frau: Rinko Kikuchi als Robert E. Pearys Geliebte Allaka in „Nobody wants the night“
Die Inuit retten die weiße Frau: Rinko Kikuchi als Robert E. Pearys Geliebte Allaka in „Nobody wants the night“
Quelle: dpa

Der Wille zu alledem ist „Nobody wants the night“ vielleicht nicht abzusprechen. Man merkt der intellektuell furchtbar simpel gestrickten Dramaturgie aber allzu rasch ihre kalte Berechnung, ihre Absicht an. Und dann wird man immer verstimmter. Coixet stellt Josephine an die Spitze einer Expedition. Sie will ihrem Held entgegen, koste es was es wolle.

Dauernd lächeln die Inuit

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Die Welt wird immer enger. Im letzten Lager, am Ende der Welt, trifft sie auf Allak, die schwangere Inuit-Frau ihres polsuchenden Gatten. Die ist, wie Inuit sind, wenn sie sind, wie ihr Klischeebild ist. Lächeln dauernd, sind Naturphilosophen und dem Westler natürlich über. Nicht nur, was das Überleben im Eis angeht.

Wenn du die letzte Kohle verbrannt hast, kann man da zum Beispiel lernen, wirst du merken, dass man Designermode nicht essen kann. Und das es hübsch ist, die Welt in einfache Symbole zu gießen. Als Josephines Hütte im Schneesturm zerbirst, muss sich die Hohe Frau ins niedrige Iglu zur schwangeren Zweitfrau flüchten. Als sie drin sind, will der Kleine raus. Das hat der Dramaturg gut gemacht. Wir hätten es nicht besser gekonnt. Wenn man uns mitten in der Nacht geweckt hätte.

Was folgt, ist, wie es sein muss für einen Park-Avenue-Verstand. Die weiße und die Inuit-Frau kommen sich näher, lernen voneinander über das Kind. „Sohn von zwei Frauen“ nennt es Allak. Mehr als ein Katalysator für die Entwicklung der Forschergattin darf die Inuit nicht sein. Sie offenbart der weißen Frau die Leere, die sich in ihr ausgebreitet hat. Und als Josephine das weiß, als die Inuit ihre Schuldigkeit an ihr und am Drehbuch getan hat, darf sie in den Tod gehen. Mit ihrem Kind, das ihr vorausgestorben ist. Das ist an Verlogenheit nicht mehr zu überbieten. Es hat alles andere von „Nobody wants the night“ schon vorher vergiftet.

Kitsch – und nicht ein überraschendes Bild

Es gibt – untypisch für Coixet – nicht ein überraschendes Bild. Gern wird in den Sternenhimmel geschaut. Das Herz geht einem auf, man möchte vor Scham die Augen schließen. Hilft nichts. Eine Stimme raunt Biografisches aus dem Off, verstärkt, was man vergessen wollte. Selbst der Soundtrack klingt nach einer apokryphen Partitur aus der Zeit, als Gemüseläden noch toll und neu und der Ethnogedanke revolutionär war.

Der arktische Wurm aus „Fräulein Smilla“ hat auch die Schauspieler befallen. Gabriel Byrne als alter Nordpoltrapper und Rinko Kikuchi als Allaka kommen nicht aus ihrer Klischeerüstung. Und Juliette Binoche friert – wie die späte arktische Schwester von Katherine Hepburn – in ihrer eigenen Geschichte ziemlich falsch vor sich hin. Leer ist sie ausgezogen, so die Moral von der Geschichte, leer kehrt sie wieder heim. Nur weiß sie es jetzt. So viel Aufhebens für so wenig Erkenntnis. Alles bleibt Behauptung, alles Vorführung eines verderbten westlichen Strebens.

Dass niemand die Nacht möchte, lässt sich am Ende so nicht sagen. Sie möge die Leinwand befallen, wenn sich der Vorhang hebt. Und lange dauern.

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