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Bremerhaven: Die Hoffnung stirbt nie

Foto: FABIAN BIMMER/ REUTERS

Energiewende Bremerhavens Offshore-Flaute

Nach dem Niedergang von Fischerei und Werftindustrie versuchte Bremerhaven den Neustart als Zentrum der Offshore-Industrie. Doch nun schlittert auch diese Branche in die Krise. Die Leidtragenden fühlen sich verraten - von der Bundesregierung.

"Bald ist hier Schluss", sagt Sonnhild Buchholz, als das Tor aufgeht. Fast leergeräumt ist die Hunderte Meter lange Fabrikhalle. Die meisten Schweißgeräte stehen zusammengeschoben am Ausgang, Rohre liegen auf dem Boden: Material für das vorerst letzte Fundament von Weserwind. In der Hallenmitte auf einem 15-stöckigen Gerüst hämmern, schrauben, schweißen sie den rund 30 Meter hohen Dreibeiner aus Stahl zusammen. Eineinhalb Wochen noch: Dann wird das Tripod ausgeliefert und später in den Nordseeboden gerammt, als Träger eines monströsen Windrads. Eineinhalb Wochen noch: Dann regt sich nichts mehr in der alten Schiffsbauhalle von Bremerhaven. Dann herrscht Kurzarbeit beim Fundamentebauer.

Ein Arbeiter steigt vom Gerüst. "Wie geht's?", fragt Betriebsrätin Buchholz. "Muss ja", antwortet der ältere Mann. "Die Leute hören es schon wieder ticken", sagt sie, als er außer Hörweite ist. "Die kennen den Dreiklang: Erst bleiben die Aufträge aus. Danach kommt Kurzarbeit. Und wenn dann nichts geschieht, ist es aus." Die 42-Jährige zieht an ihrer Zigarette: "Wir sind bei Stufe zwei."

Angst macht sich breit in Bremerhaven, Angst vor dem nächsten Schlag. Hier im Fischereihafen ankerte einst die größte deutsche Hochseeflotte, in der Weserwind-Halle wurden Schiffe zusammengeschweißt, Buchholz und Dutzende Kollegen arbeiteten für die Schichau Seebeckwerft. Nichts ist übrig. Der Niedergang der Fischerei, das Werftensterben, der Abzug der US-Army machten die "Fishtown" in den Achtzigern und Neunzigern zum Armenhaus Norddeutschlands. Jeder Vierte war arbeitslos, die Besten gingen, Bremerhaven schrumpfte von 149.000 auf 113.000 Einwohner. Die Stadtväter riefen einen Neuanfang aus. Lockten mit Millionenhilfen vier große Hersteller für Hochsee-Windparks hierher, machten Bremerhaven zum Zentrum der Offshore-Windindustrie. Fraunhofer eröffnete ein Institut, Fishtown hatte wieder Zukunft. Bis vor ein paar Monaten.

Nicht mal ein Prozent unseres Strombedarfs erzeugen die Parks

Sonnhild Buchholz steuert ihren uralten Alfa durch das Industriegebiet, vorbei an den Krisenherden. Weserwind: hat alle 700 Leiharbeiter entlassen, schickt 500 Stammkräfte in Kurzarbeit. Powerblades: 400 Leiharbeiter weg, Kurzarbeit für das Gros der 250 Festangestellten. Areva: will 100 von 580 Leuten kündigen. "Kaum einer hat noch Aufträge", sagt Buchholz. "Wenn in den nächsten Monaten nichts kommt, fährt einiges vor die Wand."

In der Offshore-Branche herrscht Flaute. Trotz der Visionen, welche die Bundesregierung mal hatte. Eine "zentrale Rolle" in der Energiewende sollten die Hochseewindparks spielen, verkündete 2012 der damalige Umweltminister Peter Altmaier (CDU). Sie sollten abgeschaltete Atommeiler ersetzen, da sie verlässlicher Strom generieren als Windräder zu Land oder Solarmodule. Altmaier nannte die Tripoden "Kathedralen der Industriekultur", gab sich euphorisch - die Bremerhaven indes warnten schon damals vor einem "Fadenriss".

Bis 2020 sollten nach Berliner Wunschdenken Offshore-Parks mit 10.000 Megawatt Leistung entstehen, das wären etwa 2000 Turbinen. Tatsächlich sind laut Branchenvereinigung EWEA erst 116 Anlagen mit 520 Megawatt in Betrieb. Selbst Belgien hat mehr. Nicht mal ein Prozent des Strombedarfs in Deutschland erzeugen die Hochseewindmühlen, Dutzende standen mangels Netzanschluss oder wegen anderer Pannen monatelang still. Droht Deutschland nach dem Solardebakel nun ein neues Technologiedesaster?

Ein paar Parks gehen bald ans Netz. Danach kommt fast nichts. Zu verunsichert sind potentielle Betreiber und Finanziers, ob sich die Milliardeninvestitionen auszahlen. "Die Risiken sind erheblich", klagt Peter Terium, Chef von RWE, dessen Ökotochter Innogy Hunderte Stellen streicht. Denn bisher rechnet sich Offshore-Strom nur mit Subventionen. Und was aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) wird, weiß niemand - nach dem Berliner Schlingerkurs der vergangenen Monate.

"Das ist keine Energiewende, sondern Energieslalom"

Mal rief Altmaier die Strompreisbremse aus, mal sinnierte er über rückwirkende Kürzungen der EEG-Vergütung für Grünstrom, mal forderte FDP-Chef Philipp Rösler eine radikale Kappung der Förderung. Nach der Wahl vereinbarten CDU und SPD im Koalitionsvertrag, das sogenannte Stauchungsmodell bis 2019 zu verlängern, acht Jahre lang 19 Cent je Kilowattstunde Offshore-Strom zu garantieren. Kaum war die Tinte trocken, regte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) an, den Tarif um einen Cent zu senken.

"Das ist keine Energiewende, sondern Energieslalom", sagt Nils Schnorrenberger. "Die Politik hat der Branche die Investitionssicherheit genommen." Der Chef der Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung ist Vater des lokalen Offshore-Booms. Er hat das Konzept entworfen, angeregt, dass neue Gewerbeflächen aufgesandet, schwerlastgeeignete Kais gebaut, Teststände für Rotorblätter errichtet wurden. Offshore passte zu Bremerhaven: Meer, Stahlbau, Jobs für die Schweißer. 120 Millionen Euro investierte die Stadt, 4000 Arbeitsplätze schufen die Betriebe, Experten prophezeiten bis zu 16.000 neue Stellen.

Als Angela Merkel 2011 nach der Atomkatastrophe von Japan den Ausstieg vom Atomausstiegs-Ausstieg ausrief, hoffte Bremerhaven auf fette Jahre. "Nach Fukushima hat ein Umdenken in der Energiepolitik stattgefunden. Die Wende zur Offshore-Energie schien für uns wie ein Sechser im Lotto", sagt Oberbürgermeister Melf Grantz (SPD). Stattdessen stockte der Offshore-Ausbau, hat die Stadt bis heute fast 15 Prozent Arbeitslosigkeit. Machen die Windanlagenbauer dicht, dürften es um die 20 Prozent sein.

"Sie kommen, trinken Kaffee, essen die Plätzchen weg"

Noch ist es nicht so weit. "Wir haben Offshore nicht aufgegeben und glauben, dass Aufträge kommen", sagt Andreas Nauen, Chef des Konzerns Senvion, einst Repower. Dazu aber müsse die Politik schnellstmöglich Klarheit schaffen. Auch aus Senvions Bremerhavener Werk werden gerade die letzten Offshore-Gondeln abtransportiert. Noch überbrückt die Fabrik den Auftragsstopp, indem sie Gondeln für Windanlagen zu Land baut.

Viele in Bremerhaven glauben nicht an die Rettung aus Berlin. "Die waren schon alle hier: Altmaier, Gabriel, Steinmeier", sagt Sonnhild Buchholz. "Sie kommen, trinken Kaffee, essen die Plätzchen weg und rufen: 'Wir setzen uns ein für euch'". Danach geschehe nichts. Auch Stadtentwickler Schnorrenberger hat durchwachsene Erfahrungen mit hohen Besuchern. Einer sagte ihm ins Gesicht: "Wir haben schon ganz andere Sachen in den Mülleimer geschmissen."

Trotzdem erhöht die Stadt den Einsatz, startet bald den Bau eines 180 Millionen Euro teuren Offshore-Terminals. Der neue Hafen werde sich lohnen, verspricht OB Grantz: "Ich glaube, dass wir an alte Zeiten anknüpfen können." Die Hoffnung stirbt nie in Bremerhaven.

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