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Kultur Auf Berlinale-Partys

Nutte oder erfolglose Schauspielerin?

Highheels und Roter Teppich: Berlinale 2015 Highheels und Roter Teppich: Berlinale 2015
Highheels und Roter Teppich: Berlinale 2015
Quelle: dpa
Ich ging auf die Berlinale, um Glanz zu suchen. Was ich fand, waren Actimel-Hostessen, Ziegenkäse-Ravioli und Junkies. Ein gescheiterter Selbstversuch – bei einem Glas Mojito mit Flüssigzucker.

Ich wollte Glamour. Ich wollte auf eine Berlinale-Party gehen, auf der man ein bisschen guckt und hofft, sich irgendwann auch so ein schönes Cavalli Kleid und so eine unschöne Kokain-Abhängigkeit leisten zu können.

Ich wollte, dass das eigene Leben auf einmal ein bisschen grau erscheint. Stattdessen ging ich auf die Movie-meets-Media-Party. Dort traf ich meine Begleitung, eine Produzentin, die Filme mit zu vielen Männern dreht.

Das erklärt uns ein Mädchen am Einlass, auf dessen Bluse eine possierliche 50/50 Brosche steckt. Das Mädchen will vor allem, dass in Deutschland das Geschlechterverhältnis im Filmgeschäft ausgeglichen ist. Ich will vor allem Häppchen.

„50/50!“, ruft das Mädchen uns hinterher, und meine Begleitung, eine Filmproduzentin, die Filme mit zu vielen Männern dreht, sagt gar nichts, nimmt mich an die Hand und zieht mich weg. Wir lassen uns mit schwarzen Einlassbändchen brandmarken, laufen über den roten Teppich, gucken ein bisschen unglücklich in die Kameras noch unglücklicher wirkender Boulevard-Fotografen und treten in den Ballsaal, was eindrucksvoller klingt, als es ist, was vor allem daran liegt, dass mehr Actimel-Hostessen als C-Promis durch die Hallen flanieren.

Auf der Party gibt es zwei Smalltalkthemen: Dass man ja eigentlich gar nicht herwollte und dass es hier Nutten gebe

Meine Begleitung erzählt mir bei einem Glas Mojito mit Flüssigzucker, dass eine andere 50/50-Aktivistin ihr kürzlich ein Papier vor die Nase gehalten habe, auf dem alle Filme gelistet waren, die sie je produziert habe, mit jeweiligem Geschlechterverhältnis. Eine mäßig erfolgreiche Filmproduzentin habe ihr vorgeworfen, sie wollte ja nur lieber mit knackigen, jungen Kerlen arbeiten. Meine Begleitung, eine Produzentin, die Filme mit zu vielen Männern dreht, findet das unverschämt und sehr unemanzipiert.

„Unverschämt und unemanzipiert! Wie die Stasi!“, sagt sie und beißt wütend in ihr Ziegenkäse-Ravioli. Ich bedauere kurz, dass sie nicht in einen Apfel beißt, es lässt sich sehr schlecht wütend in weichgekochte Nudeln beißen.

Die Party hat zwar wenig Glamour, dafür gibt es sehr viele Sponsoren. Auf den ersten Blick sehe ich einen Actimel-, einen Fiat- und einen Redbullstand. Ich will weder ein Actimel, noch einen Fiat, noch ein Redbull, laufe also mit meiner Begleitung durch den Saal, wir spielen etwas lustlos „Nutte oder erfolglose Schauspielerin“.

Ein „Täubchen“ nascht Träubchen

Das geübte Auge erkennt den Unterschied an der Garderobe, in unklaren Fällen helfen Verhaltensstudien: Wenn der unklare Fall seine Begleitung mit Träubchen und Nüsschen füttert und seine Begleitung „Täubchen“ oder „Nüsschen“ nennt: Prostituierte. Wenn der unklare Fall in jedem zweiten Satz das Wort „Projekt“ fallen lässt: Schauspielerin. Meist wirken die Prostituierten weniger verbraucht.

Auf der Party gibt es zwei Smalltalkthemen: Dass man ja eigentlich gar nicht herwollte und dass es hier Nutten gebe. Die meisten Frauen, die das sagen, gucken verächtlich, die meisten Männer, die das sagen, versuchen zumindest verächtlich zu gucken, drehen sich dann aber doch lieber um.

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Ich trenne mich kurz von meiner Begleitung, einer Produzentin, die Filme mit zu vielen Männern dreht und lasse mich willenlos von Fiat-Hostessen zum Glücksrad-Mädchen treiben. An einem Tisch stehen drei Herren, die sehr damit beschäftigt sind, deplatziert zu wirken. Ich stelle mich dazu, zünde eine Zigarette an. Seit zwei Stunden bin ich die einzige in diesem Saal, die raucht, obwohl überall Aschenbecher verteilt sind.

„Wisst ihr, was das beste an dieser Party ist?“, fragt der Herr, der viel Zeit in sein Haar investiert hat. Die anderen lassen die Augen wandern, immer wieder und egal wohin man schaut, Actimel, Titten, Fiat, Brüste, Actimel, Ausschnitt, Asus, Ärsche, Actimel, Sie verstehen.

„Das beste ist, dass sie hier keine Musik spielen“. Der Mann, der viel Zeit in sein Haar investiert hat, seufzt. „Sonst würden diese … Mädchen anfangen, in diesen … Kleidern zu tanzen.“ Dabei malt er hektisch Anführungsstriche in die Luft.

„Es ist doch alles sehr trostlos“, erwidert ein anderer und guckt ein bisschen sein Glas an.

Die fünf häufigsten Sätze

Ich laufe weiter, frage die Besucher, warum sie hier sind. Hier die Top 5 der meist gehörten Antworten meiner absolut nicht repräsentativen Umfrage:

1. Draußen war es kalt.

2. Es gibt hier umsonst Essen.

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3. Draußen war es kalt.

4. Hab nur für diese Party eine Einladung.

5. Draußen war es kalt.

Ich werde ungeduldig, möchte endlich unterhalten werden, mich ärgert diese Party, die sich so beharrlich weigert, mich zu unterhalten. Mich ärgert der Mojito, der hier mit Flüssigzucker zubereitet wird, mich ärgert die Ekstase, die hier einfach nicht eintreten will, mich ärgern die Männer, die selbstmitleidig an den Strohhalmen ihrer Actimels nuckeln.

„Es gehört sich doch auch einfach nicht“, sage ich zu einem verlebten Partygast, der stumpf auf seinem Plastikhalm herumkaut, anstatt sich eine Line auf dem Tresen zu legen. Ich stolpere wütend und betrunken von Tisch zu Tisch. Wenn man hier schon kein glücklicher Mensch werden kann, sollte man vielleicht wenigstens etwas Gutes tun, diese Welt ein kleines bisschen schöner machen, fest entschlossen schenke ich den Partygästen ihre Selbstachtung und nehme ihnen Strohhalme.

Martin Luther King, denke ich betrunken, Jesus, denke ich betrunken, hatten es auch nicht immer leicht, wenn sie Gutes taten

Mein Engagement wird wenig honoriert, tatsächlich sind die meisten Gäste sehr verärgert und klammern sich ängstlich an ihre Strohhalme, aber ich lasse mich nicht beirren, Martin Luther King, denke ich betrunken, Jesus, denke ich betrunken, hatten es auch nicht immer leicht, wenn sie Gutes taten.

„Was suchst du eigentlich?“, fragt mich ein älterer Herr, der statt Actimel ein sehr schönes, sehr arrogantes Grinsen trägt. „Ach“, sage ich. „Weil“, sagt der ältere Herr, „es gibt hier zwar viele Sponsoren und sehr viel umsonst, aber Hoffnung gehört nicht dazu“.

Ich gucke den älteren Herr mit dem sehr schönen, sehr arroganten Grinsen an, ich bin sehr betrunken, er grinst wirklich schön, ich versuche fest, mir vorzustellen, dass er kein Danone-Vertreter ist und umarme ihn, stolpere weiter, um wieder meine Begleitung zu finden.

Eine im Glitzerkleid spricht über den Tod

Eine Frau, die offensichtlich genauso viele Mojitos mit Flüssigzucker wie ich zu sich genommen haben muss, hebt ihr Glas in die Runde, ruft „Fuck off and LETS GET PISSED!“, dann fällt ihr das Glas aus der Hand zu Boden und zerspringt nicht einmal in Tausend Teile. Anstatt offzufucken und pissed zu getten, hebt ihr entnervt aussehender Begleiter nur das Glas auf und seufzt „Mensch, Ursel“.

Ich mag Ursel, die bemüht sich wenigstens um den Rausch, ich finde meine Begleitung, sie steht mit einigen erfolglosen-Schauspielerinnen-oder-Nutten vor dem Fiat und unterhält sich mit ihnen über den Tod.

„Der Tod“, sagt eine im Glitzerkleid, „ist irgendwie echt scheiße“.

Die anderen nicken und knoten ihre Hände, ich gehe, lasse mir von einem der Boulevard Fotografen in meinen Mantel helfen, steige ins Taxi. Der Taxifahrer akzeptiert keine EC-Karte, ich muss also noch zur Sparkasse, hebe fünfzig Euro ab. Neben dem Bankautomaten liegt ein Junkie, der gerade seinen Schuss vorbereitet, ich setze mich neben ihn, vergesse das Taxi, er regt sich kaum, ich desinfiziere ihm vorsichtig die Einstichstelle am Unterschenkel, falte den 50 Euro Schein und verstaue ihn in seiner Hemdtasche als Belohnung dafür, dass er der einzige ist, der hält, was Berlin verspricht.

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