Kunst liegt im Auge des Betrachters. Erst recht, wenn sie rund 9.000 Jahre alt ist. Und so spaltet ein Wandgemälde aus der Steinzeit, das Anfang der Sechzigerjahre in der heutigen Türkei freigelegt wurde, bis heute die Zunft der Archäologen.   

Ein hingebungsvoll ans Gestein gepinselte Leopardenfell? Ein steinzeitlicher Stadtplan? Oder eine verschlüsselte Nachricht an die Nachwelt? Zugegeben, das Werk, das sich böse auch als Gekritzel bezeichnen ließe, erschließt sich dem Betrachter nicht auf den ersten Blick. Nun stützt eine neue Studie die These, dass es sich bei der Zeichnung aus der Steinzeitsiedlung Çatalhöyük tatsächlich um einen Versuch handelt, die Geografie der Landschaft – samt Bergpanorama – in einer Karte darzustellen.

Im Hintergrund könne gut der heute ruhende, 130 Kilometer von der Siedlung entfernte Vulkan Hasan Dagi zu sehen sein, schreiben der deutsche Mineraloge Axel Schmitt von der University of California in Los Angeles und sein Team im Magazin Plos One. Die Wissenschaftler konnten rekonstruieren, dass der Feuerberg aktiv war, als das Gemälde entstand – entsprechend wichtig war er für die Menschen, die einst an der heutigen Ausgrabungsstätte Çatalhöyük lebten.

Die Überreste der Behausungen hatte der britische Archäologe James Mellaart entdeckt. Im Jahr 1958 stieß er auf einer Erkundungsfahrt durch Anatolien auf einen Hügel, der aus steinzeitlichen Siedlungsschichten bestand. Sie lagen an einer Weggabelung, wovon sich der türkische Name des Ortes ableitet; çatal, Gabel, und höyük, Hügel. Die Jungsteinzeit-Stadt aus dem sechsten bis siebten Jahrtausend vor Christus bestand aus mehr als 100 eng beieinander stehenden Lehmhäusern. Darin fanden Forscher aus Ton oder Gips modellierte Tierfiguren, Holzgefäße, Textilreste – und unter vielen weiteren eben besagtes Wandgemälde, das noch immer die Gemüter erhitzt.

Auf der Suche nach geologischen Spuren

"Die Interpretation 9.000 Jahre alter Malerei ist schwierig", sagt Schmitt. Oftmals sind die Zeichnungen verwittert, muten kryptisch an. Auch weil nur zum Teil bekannt ist, wie die Menschen damals lebten und ihre Umwelt wahrnahmen. Da gereicht es zum Vorteil, falls der Künstler ein handfestes Ereignis, etwa eine Naturkatastrophe vor Augen hatte. Denn ob es sich um die Darstellung eines tatsächlich stattgefundenen Vulkanausbruchs handelt, lässt sich wissenschaftlich testen. "In diesem Falle sollten sich geologische Spuren einer Eruption finden lassen", sagt Schmitt. Und so zogen er und seine Kollegen los, um Gesteinsproben des Hasan Dağı durch ihre Forschungsinstrumente zu jagen.

Anhand von Gesteinsablagerungen können Wissenschaftler herausfinden, ob ein Vulkan ausgebrochen ist. Zu klären, wann das geschehen ist, ist weitaus komplizierter. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, etwa die C14-Methode. "Dazu müssen aber organische Reste gefunden werden, die mit der Eruption zusammenhängen, etwa Holzkohle", sagt Schmitt. In Gebieten mit geringem Pflanzenbewuchs – und dazu gehören Vulkangipfel – seien solche Funde Glückssache. "Wir haben daher eine neue Methode entwickelt, junge vulkanische Ablagerungen direkt zu datieren", sagt der Forscher.

Dabei gilt es zu messen, wie viel Helium in einem Zirkonkristall enthalten ist. Dieses Mineral hat sich in den Tiefen des Bergs vor oder während der Eruption gebildet und ist mit der gasreichen Magma aus dem Vulkan geschleudert worden. "Natürliche Zirkone enthalten als Nebenbestandteile Uran und Thorium", erklärt Schmitt. Uran and Thorium sind radioaktiv und produzieren im Zerfall Helium. Das Helium-Gas entweicht aus den Kristallen, solange diese noch in der heißen Magma schwimmen.