Demokratie, Bürgerbeteiligung, Transparenz: Unsere Wahlprüfsteine zur Landtagswahl 2022

Wir baten SPD, CDU, Grüne, FDP und Linkspartei um Stellungnahme zu 17 Forderungen von Mehr Demokratie. Sagen Sie „Ja“, „Ja, aber“ oder „Nein“ dazu? Für einige unserer Vorschläge steht es gar nicht mal so schlecht – wenn man sich die Antworten anschaut.

In den aktuellen demoskopischen Umfragen schaut es so aus, als könnte die SPD mit den Grünen regieren. SPD wie Grüne sagen „Ja“ zu vier unserer zentralen Forderungen: Beide wollen erstens bei der direkten Demokratie auf Landesebene zu einem dreistufigen Verfahren übergehen. Beide sprechen sich zweitens dafür aus, die Regeln für Bürgerbegehren in den niedersächsischen Kommunen bürgerfreundlicher zu gestalten. Drittens sind sich beide einig, ein Transparenzgesetz nach hamburgischen Vorbild zu etablieren (genau genommen liegt ein solches seit 2017 in der Schublade, wurde nach dem Ende der letzten rot-grünen Koalition aber nicht verabschiedet). Beide streben viertens danach, das Wahlalter auch bei Landtagswahlen auf 16 Jahre abzusenken.

Die Linke sagt bei allen vier Fragen ebenfalls „Ja“. Zumindest bei den letztgenannten drei Reformvorhaben wäre die FDP mit im Boot.  Auch Rot-Grün-Rot oder eine Ampel-Koalition wären also diesen vier Forderungen zumindest überwiegend freundlich gesonnen, so die Aussagen der Parteien vor der Wahl.

So antworteten die einzelnen Parteien

Bei den 13 übrigen Forderungen schaut es leider nicht so gut aus. Das Gesamtbild ist durch viel Rot und Gelb, also durch „Nein“- und „Ja, aber“-Antworten geprägt.

Die SPD sagt zwar „Ja“ zu den oben genannten vier Forderungen von Mehr Demokratie, ansonsten aber stets „Nein“. Deswegen ist Rot die Hauptfarbe der SPD. Die CDU weist zwei „Ja, aber“ auf, schüttelt aber ansonsten den Kopf. Die Grünen haben 13 „Ja“- und vier „Nein“-Antworten. Bei der FDP stehen sieben „Nein“ sechs „Ja“ und vier „Ja, aber“ gegenüber. Die Linkspartei sagt 16 mal „Ja“ und nur einmal „Nein“.

I. Themenfeld Direkte Demokratie auf Landesebene

Niedersachsen schneidet, was die direkte Demokratie auf Landesebene betrifft, im Volksentscheids-Ranking von Mehr Demokratie  auf dem vorletzten Platz. Im ersten Themenfeld fragten wir die Haltung zu drei Verbesserungsvorschlägen ab:

1. Niedersachsen geht zu einem dreistufigen Verfahren (Volksinitiative, Volksbegehren, Volksentscheid) über, wie es in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Schleswig-Holstein üblich ist.

2. Niedersachsen lässt finanzwirksame Volksbegehren zu.

3. Niedersachsen senkt bei Volksbegehren das Unterschriftenquorum von zehn auf fünf Prozent und streicht wie Bayern das Zustimmungsquorum beim Volksentscheid.

Grüne und Linke unterstützen alle drei Forderungen, die Sozialdemokraten die erste. Wie erwähnt, dürfte es beim dreistufigen Verfahren für eine parlamentarische Mehrheit reichen. Ansonsten ist hier viel Rot und ein wenig Gelb.

II. Themenfeld Direkte Demokratie in den Kommunen

Kommunale Bürgerbegehren und Bürgerentscheide: Auch hier belegt Niedersachsen im Ranking von Mehr Demokratie den viertletzten Platz. Wir konfrontierten die Parteien mit folgenden Forderungen:

4. Bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden werden die Quoren nach Einwohnerzahl gestaffelt (Bürgerbegehren: zehn bis drei Prozent; Bürgerentscheide: zwanzig bis zehn Prozent). Je größer die Kommune, desto niedriger die Hürde.

5. Die Bürgerinnen und Bürger sollen über all die Themen abstimmen dürfen, über die auch ein Rat abstimmt. Themenausschlüsse werden bei Bürgerbegehren aufgehoben. Das betrifft insbesondere Planungsfragen (B-Pläne und sonstige formale Planungsverfahren) und die Planung von Krankenhausstandorten.

6. Kommunen werden verpflichtet, bei Bürgerbegehren ein neutrales Abstimmungsheft mit den wichtigsten Pro- und Contra-Argumenten zu erstellen, es online zu stellen und in gedruckter Form an alle Abstimmungsberechtigten zu verschicken.

7. Eine Neutralitäts- und Fairnessklausel wird eingeführt.

8. Die Regeln für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide werden insgesamt bürgerfreundlicher gestaltet. Stolpersteine und Fallstricke werden beseitigt (z.B. fehlende Fristen bei Zulässigkeitsprüfung und Kostenschätzung, unklare Regeln bei Bürgerentscheiden).

Die Linke sagt stets, die grüne Partei vier von fünf mal „Ja“. Auch SPD und FDP unterstützen die Forderung nach einer bürgerfreundlicheren Gestaltung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden. Die CDU antwortet dazu immerhin nicht „Nein“. Wenig Freunde findet die Forderung nach einem verbindlichen Abstimmungsheft bei Bürgerentscheiden: die drei großen Parteien sind dagegen, lediglich die Linke spricht sich klar dafür aus.

III. Themenfeld Bürgerbeteiligung

Die Bürgerbeteiligung blüht gerade auf – jedenfalls außerhalb Niedersachsens. Immer mehr losbasierte Bürgerräte entstehen auf kommunaler, zudem ein paar auf Landes-Ebene (Baden-Württemberg, Thüringen, Sachsen). Und auch auf Bundesebene werden sie das politische Geschäft beflügeln. In Niedersachsen hingegen sind die Parteien nur zum Teil aufgeschlossen für mehr und bessere Bürgerbeteiligung.  Das sind unsere beiden Forderungen:

9. Es gibt auch landespolitische Fragestellungen, die durch einen losbasierten Bürgerrat adäquat und zielführend beantwortet werden können. Der Landtag beruft in der nächsten Legislaturperiode erstmals einen solchen Bürgerrat nach Vorbild der bundesweiten Bürgerräte ein.

10. Niedersachsen etabliert und finanziert eine Stabsstelle, die  Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie fördert.

Für einen landesweiten Bürgerrat in der kommenden Legislaturperiode sprechen sich nur FDP und Linkspartei aus. Die Stabsstelle findet Freundinnen und Freunde bei Grünen und Die Linke. Die anderen Parteien sind jeweils geschlossen dagegen.

IV. Themenfeld Digitalisierung und Demokratie

Im vierten Themenfeld konfrontierten wir die Parteien mit zwei Forderungen. Beide sind ein Anstoß, vielleicht mal ein wenig zu experimentieren und sich wenigstens in diesem Bereich an die Spitze der Bundesländer zu setzen. Unsere Forderungen: 

11. Niedersachsen wird zum Vorreiter beim Thema E-Collecting, indem es den Menschen ermöglicht, Unterstützungsunterschriften für landesweite Volksbegehren auch auf elektronischem Wege abzugeben. Die Sicherheit und Transparenz des Verfahrens kann beispielsweise durch den neuen Personalausweis in Kombination mit der staatlichen Ausweis-App2 gewährleistet werden. Da der Unterstützer oder die Unterstützerin klar identifziert ist, entfällt für die Verwaltung die aufwändige Prüfung der Unterschriften.

12. Niedersachsen probiert das Online-Beteiligungs-Tool Consul auf Landesebene aus, um so den Dialog zwischen  Landespolitik und Bevölkerung zu verbessern.

SPD und CDU sagten bei beiden Fragen „Nein“, wohingegen Grüne, FDP und Linke sich geschlossen für ein „Ja“ entschieden.

V. Themenfeld Transparenz

Im Transparenz-Ranking von Mehr Demokratie belegt Niedersachsen mit zwei anderen Bundesländern den letzten Platz – mit exakt null von 100 möglichen Punkten. Unsere Forderung:.

13. Niedersachsen führt ein landesweites modernes Transparenzgesetz nach Hamburger Vorbild ein. Damit wird ein online und kostenlos zugängliches Transparenzregister geschaffen, in das proaktiv amtliche Informationen eingestellt werden. Daten werden in maschinenlesbarem Format veröffentlicht. Ausnahmen von der Transparenz sind eng zu fassen und klar zu definieren

Die Zustimmung ist so hoch wie bei keiner anderen Frage. Alle sagen „Ja“, mit Ausnahme der CDU, die aber immerhin nicht „Nein“, sondern „Ja, aber“ sagt.

VI. Wahlrecht

Das Thema Wahlrecht bleibt zentral für Mehr Demokratie. Wir baten die Parteien, uns ihre Haltung zu vier zentralen Fragen darzulegen:

14. Die Fünf-Prozent-Hürde wird auf drei Prozent abgesenkt.

15. Die Bürgerinnen und Bürger dürfen ab dem vollendeten 16 Lebensjahr bei Landtagswahlen abstimmen.

16. Niedersachsen führt eine Ersatzstimme ein. Die Bürgerinnen und Bürger können beispielsweise eine Kleinpartei mittels der Ziffer 1 wählen und eine größere Partei mit der Ziffer 2 statt eines Kreuzes. Kommt Partei 1 nicht ins Parlament, so geht die Stimme automatisch an Partei 2.

17. Niedersachsen etabliert zudem eine Proteststimme für Menschen, die weder eine der Parteien auf dem Wahlzettel noch ungültig wählen wollen.

Für eine Absenkung der Fünf-Prozent-Hürde plädiert nur die Linke (die davon profitieren würde). Alle Parteien mit Ausnahme der CDU sind für eine Absenkung des Wahlalters bei Landtagswahlen um zwei Jahre. Einzig die Linke will die Ersatzstimme, keine Partei eine Proteststimme.

 

Mitmachen? Mitmachen!

Wir kämpfen für ein Demokratie-Update mit direkter Demokratie, regelmäßiger Bürger-Beteiligung, der Transparenz staatlichen Handelns und einem bürgerfreundlichen Wahlrecht. Auch in Bremen und Niedersachsen.

  • Bestellen Sie unser kostenloses Infopaket mit Grundlagenheft!
  • Abonnieren Sie unseren Newsletter. Damit Sie immer wissen, was los ist.
  • Werden Sie Mitglied: Aktiv oder Fördermitglied, das ist Ihre Wahl!
  • Unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende.
  • Unterstützen Sie unsere aktuelle Kampagne "Rettet unsere Stimmen"

Wir freuen uns auf Ihren Support!