Deutsche Bank: Die Dirigentin am Main (ungekürzte Fassung)

Nr. 19 –

Ende Mai bekommt die Deutsche Bank eine neue Führung: Josef Ackermann übergibt die Amtsgeschäfte einer neuen Doppelspitze. Schaffen es die deutsche Politik und die deutsche Gesellschaft nun, sich aus der Umklammerung durch die Bank zu lösen?

Die Deutsche Bank ist eine Bank wie jede andere. Sie verdient in der Regel sehr viel Geld, in Krisen wie in Zeiten der Hochkonjunktur, über Tochtergesellschaften in allen Steueroasen, via Provisionen bei der Spekulation mit Nahrungsmitteln, mit dem langweiligen täglichen Kreditgeschäft. Sie verdient immer, vorausgesetzt, die Märkte sind in Bewegung, ob nach unten oder nach oben ist egal – nur Stillstand schadet der Rendite.

Und doch ist die Deutsche Bank eine besondere Bank: Sie ist das einzige deutsche Geldinstitut, das weltweit eine nennenswerte Rolle spielt. Und in Deutschland selbst ragen ihre RepräsentantInnen im öffentlichen Bewusstsein als natürliche BeraterInnen jeder Bundesregierung heraus.

So wird der Wechsel in der Führung Ende Mai aufmerksam verfolgt. Zumal er sich nicht elegant, sondern in Etappen eruptiver Machtkämpfe vollzieht. Als müsse dieser Apparat mit annähernd 100 000 MitarbeiterInnen und einer Bilanzsumme von etwa 1,9 Billionen Euro verdauen, was sich in den vergangenen Monaten ereignet hat: Erst unterlag der jetzige Vorstandsvorsitzende Josef Ackermann mit seinem Lieblingskandidaten Axel Weber, ehemals Präsident der Deutschen Bundesbank. Dann musste Ackermann eine Nachfolge akzeptieren, die er selbst nie gewählt hätte: Anshu Jain, der Leitwolf der Investmentbanker, die in manchen Jahren bis zu achtzig Prozent des Gesamtgewinns der Bank erwirtschafteten, und Jürgen Fitschen, der deutsche Nobody.

Und nun zeigt sich auch noch, dass die beiden Neuen die Spitze der Bank kräftig umbauen, während Ackermann noch im Amt ist und zu allem zähneknirschend schweigen muss. Vor allem Vertraute von Jain werden nach oben gerückt, Vertraute von Ackermann müssen gehen. Offenes Geheimnis ist: Jürgen Fitschen, 63 Jahre alt, wird noch zwei, drei Jahre mit dabei sein, danach will Jain die Phase der Doppelspitze hinter sich lassen.

Was wird aus der Deutschen Bank? So viel Turbulenzen gab es bisher selten. Und was es auch noch nie gab: Alle Neuigkeiten stehen in den Medien, zuallererst in der «Bild»-Zeitung, zu der Ackermann und seine Leute beste Kontakte haben und pflegen. Das heisst: Die Welt der Deutschen Bank ist momentan nicht so hermetisch nach aussen abgeriegelt wie sonst. Es gibt Durchstechereien, die auf Machtkämpfe hinweisen, wobei – sehr vereinfacht ausgedrückt – die eine Fraktion, die der traditionellen Deutschbanker, den befürchteten Durchmarsch der anderen Fraktion, der Investmentbanker, zu verhindern versucht.

Beim Führungswechsel von Ackermann zur Doppelspitze Jain/Fitschen geht es im Kern um zwei Fragen: Wie stark werden künftig die Investmentbanker sein? Ackermann hat in den vergangenen zwei, drei Jahren vieles getan, um der Bank eine neue Balance zu verordnen: weniger riskantes Investmentbanking – das er zuvor selbst so stark gemacht hatte – und mehr klassisches Kredit- und Privatkundengeschäft. Die zweite Frage: Welche Rolle wird diese Deutsche Bank künftig im deutschen Macht- und Regierungsgeflecht spielen? Josef Ackermann lieferte mit seinen Teams die Blaupausen für die Finanzmarkt- und Bankenrettungspolitik der Bundesregierung von Angela Merkel. Die Regierung unternahm nichts, was den Interessen dieser Bank zuwiderläuft. Wer aber liefert künftig die Vorgaben? Anshu Jain und seine Teams?

Oder nützt die Politik gar diesen Übergang, um sich zu befreien – aus dem von der Deutschen Bank mit Analysen, Konzepten und Roadmaps gebauten Gedankengefängnis? Oder lockert sie wenigstens die Gitterstäbe? Denn Einfluss und Macht einer solchen Institution sind nicht gottgegeben. Einen Teil davon verdankt die Deutsche Bank auch Ackermann selbst: seinem unermüdlichen Netzwerken, ob im Kanzleramt, bei den Parteien, bei den Medien von der «Zeit» bis «Bild», seiner zusätzlichen Autorität in seiner Rolle als Präsident des Weltbankenverbands. Mit ihm geht erst einmal auch sein von ihm gestricktes Netz. Jain hat zwar bei Spitzenpolitikerinnen und Spitzenmanagern wie Merkel, Wolfgang Schäuble, Siemens-CEO Peter Löscher und vielen anderen bereits seine Antrittsbesuche absolviert, aber mehr auch nicht. Es könnte ein neues Spiel beginnen.

Die Deutsche Bank regiert

Jeder und jede halbwegs informierte BürgerIn weiss, dass Banken zu viel Einfluss auf die demokratisch gewählten Regierungen haben. Das hat Gründe. Banken sind nichts anderes als Gefässe für den Reichtum der Reichen eines Landes. Mit Reichtum ist immer potenzielle Macht verbunden. Das bekommen alle zu spüren, die versuchen, privaten Reichtum zu verringern – jeder Ansatz kommt einer Kampfansage an die Eliten gleich.

Die Deutsche Bank, institutionalisierte Sachwalterin und Speerspitze der deutschen und internationalen Reichtumseliten, repräsentiert geliehene Macht, aber auch eigene: Denn sie entscheidet mit, wie und wo die vielen Hunderte Milliarden Euro angelegt werden. Und wohin sich die Politik bewegt. Ein paar Beispiele: Die Teilprivatisierung der Rente (vgl. unten: «Der grosse Erfolg der Finanzindustrie» ) in Deutschland wurde wesentlich von den Interessen der Banken und der FinanzdienstleisterInnen geprägt. Der Umbau des traditionellen Finanz- und Bankenwesens zu einer hochriskant spekulierenden Finanzindustrie – verwirklicht von der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) in den Jahren 1999 bis 2004 – fiel ebenfalls im Sinne der Banken- und Finanzmarktbranche aus; teilweise schrieben Fachleute der Finanzbranche direkt an den Gesetzesentwürfen mit. Bereits im Februar 2003 gab es eine Initiative deutscher Banker unter Führung von Josef Ackermann, die die deutsche Regierung (vorerst vergeblich) für die Gründung einer Bad Bank gewinnen wollte: Der Staat sollte bereits damals den Banken Risiken in Höhe von Dutzenden Milliarden Euro abnehmen; in den Krisenjahren 2008/2009 wurde dann eine Bad Bank gegründet.

Dieser Einfluss zeigt sich auch darin, dass alle Banken für systemrelevant erklärt und mit Steuergeldern gerettet wurden. Er zeigt sich darin, dass die heutige Krise nicht mehr Finanzmarkt- und Bankenkrise, sondern Staatsschuldenkrise heisst. Dass «über die einfache Tatsache, dass Umfang und Macht des Finanzsektors bei weitem zu gross für die Ökonomie des Globus sind», weiterhin «beharrlich geschwiegen wird», wie der renommierte Finanzjournalist Lucas Zeise sagt. Und er zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sich alle Regierungen als eine wichtige Konsequenz aus der Krise vornahmen, die Banken zu verkleinern, um ihnen Einfluss und Wirkung zu nehmen. Was ist aus diesem Vorhaben geworden? Die Deutsche Bank ist heute nicht kleiner und schwächer, sondern via Zukäufe noch viel einflussreicher und grösser als vor der Krise.

Im Dienst des Vaterlands

Die 1870 gegründete Bank war von Anfang an eng mit der Regierung verquickt. Ein paar Beispiele aus der Nachkriegszeit:

  •  In den fünfziger und sechziger Jahren hat Hermann Josef Abs (vgl. unten: «Immer mit dabei») den damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) nicht nur beraten. Abs hat auch 1953 beim Londoner Schuldenabkommen mit den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs die Verhandlungen im Auftrag der Bundesregierung geführt. Abs galt als «graue Eminenz im Geflecht der Beziehungen zwischen Staat, Wirtschaft und Politik», schreibt der Historiker Lothar Gall in einem Standardwerk über Abs.
  • Eine solche Beziehung zwischen Staat, Wirtschaft und Politik war nicht Ausnahme, sondern Regel. Helmut Schmidt (SPD) erinnerte jüngst daran: Auch er habe als Bundeskanzler (1974–1982) zu internationalen Finanz- und Währungskonferenzen nicht einen Bundesminister, sondern einen Vertreter der Deutschen Bank geschickt, um die Interessen von Deutschland zu vertreten.
  • Alfred Herrhausen wiederum, ab 1985 an der Spitze der Deutschen Bank, war einer der engsten Berater des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl (CDU); er wurde Ende November 1989 von der RAF ermordet. Herrhausen war der erste (und bisher einzige) Vorstandssprecher, der offen über die Macht der Deutschen Bank sprach: «Natürlich haben wir Macht. Es ist nicht die Frage, ob wir Macht haben oder nicht, sondern wie wir damit umgehen, ob wir sie verantwortungsbewusst einsetzen oder nicht.»
  • Auch Josef Ackermann, von 2002 bis 2006 erst Sprecher des Vorstands und seit 2006 alleiniger Vorstandsvorsitzender, geht selbstverständlich im Kanzleramt ein und aus; zahllose, auch nächtliche Krisen- und Beratungstelefonate mit der Kanzlerin inklusive. Dass sich da zwei gefunden hatten, zeigte sich im April 2008, als Merkel Ackermann ins Kanzleramt einlud, um mit ihm und weiteren zwanzig von ihm ausgewählten Gästen seinen 60. Geburtstag nachzufeiern.

Die deutschen KanzlerInnen und Regierungen haben in den Repräsentanten der Deutschen Bank immer ganz selbstverständlich ihre Ratgeber und kompetenten Experten gesehen – und nicht das, was sie sind: Interessenvertreter in eigener Sache. «Dass es Aufgabe der Deutschen Bank sei, die Interessen der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten, darüber war man sich früher einig, ohne es auszusprechen», schrieb Helmut Schmidt Mitte Juli 2011 in seinem Hausblatt «Die Zeit». Ob das die Repräsentanten der Deutschen Bank selbst je auch so gesehen haben? Haben sie etwa je eine Position vertreten, die Deutschlands Interessen nützte und denen der Deutschen Bank schadete? Umgekehrt schon.

«Wir können mit der Lösung nicht unzufrieden sein, schliesslich sitzt Josef Ackermann am Tisch.» Diesen Satz «aus Bankerkreisen» verbreitete die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» (FAZ) im Juli 2011 kurz nach einem der vielen Sondergipfel in Brüssel; es war um das zweite Rettungspaket für Griechenland gegangen. Baudouin Prot, Vorstandsvorsitzender der französischen Grossbank BNP Paribas, war auch dabei gewesen. Die FAZ fasste zusammen: «Es gibt keinen politischen Lösungsvorschlag, an dem die führenden Geschäfts- und Investmentbanken nicht mitgewirkt haben.» Und so kam Peter Bofinger, Wirtschaftswissenschaftler und Mitglied des Sachverständigenrats der Bundesregierung, Mitte 2011 nach den Debatten und Entscheidungen über den Schuldennachlass für Griechenland zum Schluss: «Betriebswirtschaftlich gesehen erkenne ich keine echte Beteiligung des Privatsektors. Die Banken haben sich exzellent behauptet.»

Die Banker als «Experten»

Attraktiver könnten Josef Ackermann, seine Gefolgsleute und BranchenkollegInnen nicht verkleidet sein. Sie sind hochkompetente rigorose VertreterInnen der Interessen ihrer Banken und werden trotzdem von Politik und Öffentlichkeit als angesehene Expertinnen und Ratgeber des Allgemeinwohls wahrgenommen und wertgeschätzt.

Das zeigt sich etwa so: Wenn Ackermann in den ZDF-Politiktalk von Maybritt Illner geht, dann sitzen da nicht wie üblich fünf, sechs TeilnehmerInnen. Da sitzt dann nur einer: eben er. Diese Ehre wird sonst nur dem Bundespräsidenten, der Bundeskanzlerin oder dem US-Präsidenten erwiesen. Dies zeigt: Ackermann ist nicht als Lobbyist in eigener Sache geladen, sondern als der Fachmann, als der redliche Schuldenberater der Nation und der EU, der dem Fernsehpublikum erläutert, wie es weitergeht – mit Griechenland, dem Euro, den Staatsschulden. Deshalb wird er gefragt: «Herr Ackermann, was soll die Regierung jetzt in Sachen Griechenland tun?» Er wird nicht gefragt: Sagen Sie mal, was verdienen Sie und Ihre Bank an der Griechenland-Krise?

Ackermanns 300-köpfiges PR-Team wird seit Mitte 2007 von Stefan Baron geleitet, dem ehemaligen Chefredaktor der «Wirtschaftswoche». Mit grossem Erfolg: «Die Art und Weise, wie der Schweizer die Deutsche Bank durch die Finanzkrise führte, sein hohes Ansehen in Politik und Wirtschaft und seine erstklassige internationale Vernetzung …», schwärmte etwa die FAZ (26. Juli 2011). Und in der «Süddeutschen Zeitung» (16. Juli 2011) ist in einem wohlwollenden Porträt unter anderem zu lesen: Ackermann sei «bei den Rohrbrüchen der Finanzkrise zu einer Art Klempner der Bundesrepublik geworden». Bereits im Jahr 2008 war im Berliner «Tagesspiegel» zu lesen, er habe sich seit 2006 «vom meistgehassten Manager Deutschlands zum Vordenker und Hoffnungsträger entwickelt». Vor allem «Bild» huldigt ihm. Nie ist in diesen Krisenjahren ein böses Wort über ihn zu lesen. Dafür kann er in Interviews ungestört seine Position darlegen. Man muss wissen: Zeitweise war die Deutsche Bank am Springer-Konzern beteiligt, und bei der intimen Kanzleramtsrunde zu Ackermanns 60. Geburtstag sassen der Vorstandsvorsitzende des Springer-Konzern, Mathias Döpfner, und «Bild»-Chefredaktor Kai Diekmann mit am Tisch.

Nicht nur einzelne RepräsentantInnen der Bankenbranche werden als redliche RatgeberInnen (und nicht als LobbyistInnen) wahr- und ernstgenommen, sondern die Finanzsysteme und Finanzmärkte in Gänze. So empörte sich niemand, als Rolf-Ernst Breuer, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, im Jahr 2000 in der «Zeit» schrieb: «Politik muss heute mehr denn je mit Blick auf die Finanzmärkte formuliert werden.» Denn diese «haben quasi als ‹fünfte Gewalt› neben den Medien eine wichtige Wächterrolle übernommen. Wenn die Politik im 21. Jahrhundert in diesem Sinn im Schlepptau der Finanzmärkte stünde, wäre dies vielleicht so schlecht nicht.» Und es regte sich auch kam jemand auf, als Andreas Schmitz, Präsident des Bankenverbands, Ende 2011 die anonym agierenden Mächte auf den Finanzmärkten so definierte: «Aber die Finanzmärkte sind doch auch Teil der Demokratie. Das sind wir alle, die mit unserem Geld nach Anlagemöglichkeiten suchen, für unsere Alterssicherungen oder unsere Vermögensanlage.»

Fliessende Übergänge

Thomas Matussek war ein deutscher Spitzendiplomat. Seine Stationen: Botschafter in London, Ständiger Vertreter von Deutschland bei den Vereinten Nationen in New York, Botschafter in Neu-Delhi. Seit November 2011 vertritt er die Interessen der Deutschen Bank gegenüber Regierung und Parlament – als Head of Public Affairs.

Caio Koch-Weser war von 1973 bis 1999 für die Weltbank tätig – zuletzt als einer der geschäftsführenden Direktoren –, die beispielsweise mit Gutachten weltweit eine Debatte über die stärkere Privatisierung der Alterssicherung initiiert hatte. Unter dem früheren Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) wurde Koch-Weser Staatssekretär und war unter anderem für den Bereich Kapitalmarkt, Bankenaufsicht, Banken und Versicherungen zuständig – genau in jener Phase, als es Anfang 2000 um die Privatisierung der Altersversorgung ging. Koch-Weser hatte in seiner Amtszeit mehrfach mit Entscheidungen zu tun, von denen auch die Deutsche Bank zumindest indirekt profitierte. 2006 wechselte Koch-Weser dann ins Management der Deutschen Bank Group.

Helmut Bauer war Finanzaufseher der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gewesen, wechselte dann zur Deutschen Bank und wurde deren Vice Chairman. Er leitet seit Februar 2008 die neue Abteilung Aufsichtsangelegenheiten. Auch mit seinem Einkauf, wie mit allen anderen, organisierte sich die Deutsche Bank beinahe unbezahlbares Wissen über andere Kreditinstitute, über Pläne und Probleme der Bankenaufsicht und darüber hinaus beste Kontakte in die Politik.

Malcolm Knight war Generaldirektor der Basler Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) – in Fachkreisen die «Notenbank der Notenbanken» genannt – und wechselte ebenfalls im Jahr 2008 als Vice Chairman zur Deutschen Bank. Als BIZ-Chef hatte Knight Einblick in wichtige Daten aller Grossbanken sowie die internen Pläne der internationalen Aufsichtsgremien im Zuge der Finanzkrise.

Die Deutsche Bank habe schon immer viel mehr Geld und Ressourcen in die politische Lobbyarbeit gesteckt als die anderen Banken, sagt Lucas Zeise. Systematisch seien auf der Führungsebene die eigenen Bedürfnisse und Interessen analysiert worden, diese dann in politische Vorgaben und letztlich in operative juristische Vorlagen gegossen worden – Politik und Staat hätten sie nur noch annehmen und dann verwirklichen müssen.

Der ausgelieferte Staat

Dass die vielen Wechsel zwischen Regierungsamt und Bankenjob für viele Manager so reibungslos vonstatten gehen können, hat viel mit dem Zustand des Staatswesens zu tun. Und war schon lange absehbar gewesen. Bereits im Februar 1996 sagte der damalige Präsident der Deutschen Bundesbank, Hans Tietmeyer, am Wef in Davos: Er habe den Eindruck, «dass sich die meisten Politiker immer noch nicht darüber im Klaren sind, wie sehr sie bereits heute unter der Kontrolle der Finanzmärkte stehen».

Wissenschaftler wie der Lobbyforscher Rudolf Speth, zurzeit Professor an der Universität Kassel, weisen seit Jahren darauf hin, dass insbesondere das Bundesfinanzministerium gerne auf ExpertInnen der Finanzbranche zurückgreift, weil die hauseigenen Kompetenzen unzureichend sind. Beispiele dafür bieten die Finanzmarktförderungs- und Investmentmodernisierungsgesetze, mit denen Hedgefonds erstmals auch in Deutschland zugelassen und Steuererleichterungen für Investmentfonds durchgesetzt wurden. Für deren Ausarbeitung in den Jahren 2002 bis 2004 wurden unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung MitarbeiterInnen des Bundesverbands Investment und Asset Management (BVI), der Deutschen Börse und des Bankenverbands in das Bundesfinanzministerium abgeordnet, wie die Wissenschaftlerin Diana Wehlau kritisiert: «Im Ergebnis entsprach der Gesetzesentwurf im Wesentlichen den Vorstellungen des Banken- und Investmentsektors.» Selbst CDU-Mitglieder, damals in der Opposition, monierten das Verfahren: Die Bankenlobby habe doch bis zu drei Dutzend Mitarbeiter im Finanzministerium gehabt, sagte der frühere Abgeordnete Dieter Austermann.

Die BankenexpertInnen füllten eine Lücke. Über Jahrzehnte hinweg wurde das früher wenigstens teilweise noch vorhandene Know-how der öffentlichen Behörden und Ministerien abgebaut; der Staat habe sich aus der Wirtschaft herauszuhalten, lautete die herrschende Ideologie. Heute ist das Wirtschaftsministerium nur noch eine leere Hülle. Das Finanzministerium kann ohne die Hilfe externer (und interessengebundener) Anwaltskanzleien nicht ein einziges Finanzmarktgesetz entwerfen. Und greift auf Anwaltskanzleien wie Freshfields Bruckhaus Deringer zurück. Diese mit 2500 AnwältInnen viertgrösste Kanzlei der Welt gilt als sehr bankennah und beriet beispielsweise die Deutsche Bank bei deren jüngstem Zukauf, dem Erwerb der Privatbank Sal. Oppenheim.

Eine funktionierende Demokratie bräuchte, besonders in solchen Zeiten, hochkarätige und der öffentlichen Sache verpflichtete ExpertInnen. Die öffentlichen Institutionen sind jedoch so ausgeblutet, dass sie das Wissen, das ihnen die Banken liefern, nicht einmal kritisch beurteilen können. «Die öffentliche Hand, die Ministerien und Verwaltungen hatten noch nie den Sachverstand, um den Banken Paroli zu bieten», sagt der Journalist und Buchautor Lucas Zeise. «Die sind von der Expertise der Banken abhängig. Und vor allem von der Deutschen Bank.»

Jochen Sanio, bis Ende 2011 Chef der BaFin, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, hat das ebenfalls erkannt. «Der Umgang mit Nichtwissen ist zum zentralen Problem der Bankenaufsicht geworden», sagte er bereits Mitte 2010. Die Erfinder der undurchschaubaren Finanzprodukte seien ihm und seinen 1800 MitarbeiterInnen immer einen Schritt voraus.

Und wenn der Staat doch ein paar Fachleute habe, dann führten sich diese nicht selten wie U-Boote der Banken auf, sagt Zeise. Jörg Asmussen, der jahrelang führend am Krisenmanagement der Bundesregierung beteiligt war und nun Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank ist, sei so einer gewesen. Er habe sich, so Zeise, als Staatssekretär im Finanzministerium systematisch bemüht, in dieser Finanzwelt anzukommen, sie zu verstehen und von ihr auch akzeptiert zu werden. Letztlich habe er deshalb nichts anderes getan, als in seinem Ministerium die Bankeninteressen zu vertreten.

Am Wissenstropf der Deutschen Bank und ihrer MitstreiterInnen hängt die öffentliche Finanzbürokratie noch immer. Im vergangenen Jahr hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble handfeste Probleme, wichtige Positionen in seinem Ministerium überhaupt zu besetzen. Die Europa- und die Grundsatzabteilung waren wie die Abteilung für internationale Währungsfragen über Monate ohne Leitung. Und so sollen laut einem Bericht des ARD-Fernsehmagazins «Monitor» «Mitarbeiter des Bundesministeriums der Finanzen Vorschläge zur Lösung der Griechenland-Krise direkt aus einem Papier der Deutschen Bank abgeschrieben haben». Das Ministerium dementierte zwar. Aber wer mit Bankenkritikerinnen oder den Vertretern der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi spricht (Verdi organisiert die Beschäftigten der Finanzbranche und ist daher in den Aufsichtsräten der Banken vertreten) – in einem Urteil über die Deutsche Bank sind sich alle einig: Wo immer auch deren RepräsentantInnen aufträten, seien sie mit Analysen, Daten und Fakten perfekt vorbereitet und gerüstet.

Gegenwissen organisiert nur die Zivilgesellschaft – etwa die globalisierungskritische Organisation Attac mit ihrem wissenschaftlichen Beirat. Oder der von FinanzexpertInnen und zahlreichen Gruppierungen gegründete europäische Braintrust Finance Watch, der Wissen verbreitet, Argumente gegen die herrschenden FinanzmarktakteurInnen entwickelt und eine scharfe Regulierung fordert. Oder die Gruppe LobbyControl, die mit grossem Engagement dubiose Kooperationen offenlegt, die Verbindungen zwischen Banken und der Politik untersucht und ihre Erkenntnisse in der Datenbank Lobbypedia dokumentiert.

Ressourcen und Netze

Früher kontrollierte die Deutsche Bank über ihre Aufsichtsratssitze die deutsche Industrie, heute bindet sie bisherige und potenziell neue Kundinnen, Verbandsfunktionäre und einflussreiche VertreterInnen von Politik und Wirtschaft als BeirätInnen an die Bank. Sie hat ein Gremiensystem entworfen, dem – so der Finanz- und Bankenjournalist Hermannus Pfeiffer, Autor eines Standardwerks über die Deutsche Bank – mindestens 600 Mitglieder angehören; der Buchautor Friedhelm Schwarz spricht gar von einem «Netzwerk der Dankbarkeit».

Natürlich tritt die Deutsche Bank auch als Sponsorin auf; sie gründete nach und nach eine Reihe von Stiftungen, baute die Alfred-Herrhausen-Gesellschaft auf und investiert jährlich viele Dutzende Millionen Euro in gesellschaftliche Projekte. Auch Parteien erhalten regelmässig grössere Spenden. Im Wahlkampfjahr 2009 bekamen – laut den Rechenschaftsberichten der Parteien – die Unionsparteien CDU/CSU 280 000 Euro und die FDP 220 000 Euro. Auch SPD und Grüne werden mit Parteispenden regelmässig bedacht, wenn auch mit geringeren Summen. Nur die Partei Die Linke geht leer aus.

Wissenschaftslobbying spielt ebenfalls eine zunehmend wichtige Rolle. Mit Gutachten und Umfragen von sogenannt unabhängigen Instituten und ExpertInnen versucht die Bank, jene Glaubwürdigkeit zu erzielen, die mit unverhohlener Werbung und Interessenvertretung im eigenen Namen nicht erreicht werden kann. DB Research, das wirtschaftswissenschaftliche Institut der Bank, spielt dabei eine wichtige Rolle: Zeitweise mehrmals pro Woche nimmt das Institut, in dem sieben Teams Schwerpunktthemen bearbeiten, Stellung zu aktuellen wirtschaftspolitischen Ereignissen.

Wozu das gut ist, war vor einigen Monaten in der «Zeit» zu lesen: Bundeskanzlerin Angela Merkel habe Mitte September 2011 «den Austausch mit den Top-Volkswirten der Finanzbranche» gesucht. Mit dabei war natürlich auch Thomas Mayer, Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Mayer stellte ein Modell vor, wie sich das Volumen des Euro-Rettungsfonds EFSF vergrössern liesse, «ohne neue Finanzmittel bei den nationalen Parlamenten beantragen zu müssen». Also ein Vorschlag im Interesse der Banken und ein Vorschlag, mit dem die Regierungen auch gleichzeitig die demokratisch gewählten Parlamente aushebeln könnten.

Die Deutsche Bank ist auch Mitbegründerin und Gesellschafterin des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (DIA), das nach eigenen Angaben den Auftrag hat, «die Öffentlichkeit über die Chancen und Risiken der Altersvorsorge zu informieren und die private Initiative zu fördern». Offiziell versichern die GesellschafterInnen, an erster Stelle die Deutsche Bank und Versicherungsunternehmen, das Institut sei in seiner Arbeit völlig unabhängig. Allein die personellen Verflechtungen – führende InstitutsmanagerInnen waren oder sind zugleich Angestellte der Deutschen Bank – sprechen eine andere Sprache. Das Institut liefert mit zahlreichen Studien Zahlen und Einschätzungen, die die Öffentlichkeit von der (Teil-)Privatisierung des Rentensystems überzeugen sollen.

Aber das ist noch nicht alles. Die Deutsche Bank hat auch das in Frankfurt ansässige Deutsche Aktieninstitut (DAI) mitgegründet, ist am Bundesverband deutscher Banken beteiligt, lässt ihre Interessen vom Bundesverband Investment und Asset Management (BVI) vertreten und spielt eine zentrale Rolle beim Internationalen Bankenverband, dem Institute of International Finance (IIF). Präsident dieser einzigen weltweiten Vereinigung von Finanzinstituten, der die 400 wichtigsten Banken und Versicherer der Welt angehören, ist seit 2003 Josef Ackermann.

Abwarten beim Schuldenschnitt

Welche Funktion das IIF einnimmt, zeigte sich Ende Juli 2011, als auf einem der zahlreichen Brüsseler Gipfel zum Thema «Schuldenschnitt in Griechenland» über ein Modell beraten wurde, das das IIF ausgearbeitet hatte; Ackermann nahm an diesem Gipfel persönlich teil. Zuvor hatte sich der Geschäftsführer des IIF mit den Vorsitzenden des EU-Wirtschafts- und Finanzausschusses (WFA) getroffen, um über die Beteiligung privater Gläubiger an der Rettung Griechenlands zu beraten; der WFA berät wiederum die europäischen FinanzministerInnen. Nach einem Bericht des «Wall Street Journal» wurde bei diesem Treffen beschlossen, ein Papier des IIF als Roadmap zu nutzen, um «die nächsten Schritte zur Beteiligung privater Banken abzustimmen».

Kein Wunder, attestieren viele der Deutschen Bank einen grossen Einfluss. Wenn es um die Regulierung der Finanzmärkte gehe, könne man «keine Politik gegen die Deutsche Bank machen», sagt beispielsweise Thomas Hartmann-Wendels, Direktor des Instituts für Bankbetriebslehre der Universität Köln. Da die Deutsche Bank die dominierende Bank in Deutschland sei, spiele sie für das deutsche Finanzsystem eine entscheidende Rolle. Deshalb habe sie eine politische Rolle. Und Sven Giegold, Europaabgeordneter der Grünen und Mitgründer von Attac Deutschland, ist davon überzeugt, dass Ackermann das Krisenmanagement der Finanzmarktkrise so organisiert hat, dass vor allem Staat und SteuerzahlerInnen die Risiken und Schäden trugen.

Das weiss auch die Alliance for Lobbying Transparency and Ethics Regulation (Alter-EU), ein Zusammenschluss von etwa 160 Organisationen der Zivilgesellschaft. Sie veröffentlichte im Februar 2010 eine Studie über die Besetzung der neunzehn Expertengruppen in der EU, die sich mit dem Finanzsektor befassen. Die Studie ergab, dass in diesen Beratungsgremien viermal so viele RepräsentantInnen der Finanzwirtschaft vertreten sind wie ExpertInnen aus anderen Bereichen (wie Konsumentenverbänden, Gewerkschaften, unabhängiger Wissenschaft). Die Politik wird von dieser Branche also tagtäglich belagert und bearbeitet.

Da die Politik tat, was ihr die Deutsche Bank riet – allen Bedrängten, ob Banken oder Staaten, mit viel Geld zu helfen und vorläufig nur keinen Schuldenschnitt zu machen –, hatte die Bank in den vergangenen zwei, drei Jahren genügend Zeit, riskante Engagements abzubauen: Seit dem Herbst 2011 rechnet sie bei ihren Investitionen in Griechenland, Irland, Italien, Spanien und Portugal nur noch mit einem Ausfall von fünf Milliarden Euro. Ähnlich ging die Deutsche Bank auch im Fall Irland vor: Als Irland in die Krise stürzte, wurde die Regierung in Dublin von der EU, insbesondere von Angela Merkel, unter den EU-Rettungsschirm gedrängt. Zuerst hatte Dublin gar keine EU-Hilfe in Anspruch nehmen wollen; zumindest ein Teil der irischen Banken sollten in Insolvenz gehen. Doch das wollte Merkel nicht. Warum? Die deutschen Banken, allen voran die Deutsche Bank, hatten damals noch hohe Engagements in Irland und bei irischen Banken.

Wie man sich kleinmacht

Hört oder liest man in den letzten Monaten Interviews mit führenden BankerInnen, kommt man aus dem Staunen kaum heraus. Dieselben Personen, die sich lange Jahre nicht nur von den Medien als «Masters of the Universe» feiern liessen, präsentieren sich nach dem Finanzcrash auf einmal als, in marxschen Begriffen ausgedrückt, einfache Charaktermasken des Kapitals. Oder, um es mit zwei der grundlegenden soziologischen Kategorien zu sagen: Handeln wird plötzlich ganz klein, Struktur ganz gross geschrieben. Der Elitensoziologe und Reichtumsforscher Michael Hartmann hat einmal ein Gespräch mit einem Vorstandschef einer Grossbank so beschrieben: Er, der Banker, sei spätestens seit 2006 sehr skeptisch gewesen, wie lange das mit den ganzen neuen Finanzprodukten noch gutgehen werde, er habe diese Produkte auch nie wirklich verstanden. Aber hätte er, so seine Entschuldigung, angesichts der dabei zu erzielenden hohen Gewinnspanne schon damals auf ihre Nutzung verzichten sollen? Er hätte einen Aktiensturz seiner Bank riskiert und damit auch seine eigene Position aufs Spiel gesetzt. Die Gesetze des Finanzmarkts hätten ihn quasi zum Weitermachen gezwungen, solange alle anderen das Spiel auch noch gespielt hätten. Die Banker als die Getriebenen.

Aber das ist dann doch eher eine Ausrede, die die Deutsche Bank kaum geltend machen kann – auch wenn die Öffentlichkeit so gut wie keinen Zugang zu den internen Vorgängen hat und fast nichts über die Auseinandersetzungen und Entscheidungsprozesse weiss. Weil die Bank trotz ihrer enorm politischen Rolle ein Privatunternehmen ist. Weil die von ihr gelenkten Geldströme und erst recht die oft bewusst kompliziert gebauten Finanzprodukte – vor allem nach dem Abbau fast aller wesentlichen Regeln und Begrenzungen – per se so gut wie unkontrollierbar sind. Und weil sich die Bank (trotz ihrer verstärkten Medienarbeit) nicht gern in die Karten schauen lässt: Wenn es – jenseits der offiziellen Sprecher – überhaupt gelingt, mit jemandem von der Deutschen Bank zu sprechen, dann hat das Gespräch nie stattgefunden.

Das ist allerdings auch nicht so schlimm, halten sich die neuen Erkenntnisse aus diesen Gesprächen doch sehr in Grenzen. Man hört zumeist, dass es mit der Macht der Deutschen Bank nicht weit her sei, denn weltweit befinde sie sich eher im Mittelfeld. Und welche Macht solle eine Bank schon haben, die von der Öffentlichkeit so genau bis argwöhnisch beobachtet werde? Das mit der Macht sei ein Relikt aus den achtziger Jahren, heute stehe eine Deutsche Bank genauso unter dem Zugzwang der Märkte wie alle anderen. Und dann kann der Fragende noch aus dem Gespräch heraushören, dass sich die Deutsche Bank sehr wohl Sorgen um ausreichend kompetente AnsprechpartnerInnen in Ministerien und in den Parlamenten mache – schliesslich sei es ja wichtig, dass alle verstünden, was die Deutsche Bank wolle.

Eine eigene Welt

Mithilfe der Politik, die «gegenüber den Maximen der Finanzmärkte weitgehend abgedankt» habe, sei eine Banken- und Finanzmarktwelt entstanden, «die ganz selbstverliebt in die Rationalität der eigenen Fiktionen und Simulationen ist», und eine Welt, «die weit entfernt ist von der Berührung mit der ökonomischen Wirklichkeit, wie sie sich in der Gesellschaft zeigt», sagt der Soziologe Sighard Neckel, der mit anderen WissenschaftlerInnen wie Claudia Honegger im Jahr 2009 via Intensivinterviews ein soziologisches Sittengemälde der FinanzmarktakteurInnen zeichnete.

Ackermann gehörte nicht zu den Interviewten, aber sein Denken und Handeln bestätigt diese Abkopplung von der realen Welt und jeglicher Verantwortung ihr gegenüber. So sagte er Anfang 2004 zu Beginn eines spektakulären Prozesses: «Dies ist das einzige Land, in dem diejenigen, die Erfolg haben und Werte schaffen, deswegen vor Gericht gestellt werden.» Ackermann stand damals wegen Untreue vor Gericht. Dazu passt auch, dass er – angesprochen auf die Ursachen der Finanzmarktkrise – heute zwar vage «Irrtümer» einräumt, mehr aber auch nicht.

In aller Selbstverständlichkeit schiebt er vielmehr anderen, vor allem der Politik, die Schuld zu. Er spricht stets von «der Staatsschuldenkrise», für die «ursächlich» nicht Unternehmen und Finanzmärkte verantwortlich seien, sondern die Staaten, die sich zu hoch verschuldet hätten. Gewiss, so räumt er manchmal ein, habe sich die Verschuldung einiger Staaten durch die Bankenrettung erhöht, aber das sei nicht entscheidend gewesen, die Staatsschulden seien bereits zuvor viel zu hoch gewesen – dabei lag sie in Ländern wie Irland und Britannien vor der Finanzmarktkrise bei 25 respektive 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Und er setzt mitunter – wie in seinem Beitrag für die FAZ im November 2011 – noch eins drauf: «Die Staatsschuldenkrise hat die Akzeptanz eines vereinten Europas in der Bevölkerung unterminiert und nationale Egoismen neu belebt.»

So kommt es, dass Ackermann ebenso eisern wie selbstverständlich am Ziel von 25 Prozent Rendite auf das Eigenkapital vor Steuern festhält: Dass sich die Ursachen der Krise in dieser Ziffer verdichtet widerspiegeln, liegt weit ausserhalb seiner Gedankenwelt. Im Jahr 2005 erreichte Ackermann das erste Mal diese Kennziffer; seither ist seine Amtszeit untrennbar mit diesem öffentlich proklamierten Ziel verbunden, das aggressive Geschäftsmethoden zur Folge haben musste, weil es mit dem normalen Kundenkreditgeschäft nicht zu erreichen ist.

Hände weg vom Acker, Mann!

Und das Menschenleben fordert. Im Oktober lancierte die deutsche KonsumentInnenorganisation Foodwatch die Kampagne «Die Hungermacher. Wie Deutsche Bank, Goldman Sachs & Co. auf Kosten der Ärmsten mit Lebensmitteln spekulieren». Unter dem Motto «Hände weg vom Acker, Mann!» legte die Initiative Belege vor, wie sehr inzwischen Spekulationen an den Rohstoffbörsen die Preise in die Höhe treiben. Immerhin liegen im Jahr 2011 die Preise für Weizen, Mais und Reis im weltweiten Durchschnitt um 150 Prozent über jenen im Jahr 2000; eine für viele Menschen tödliche Differenz. Und die Deutsche Bank verdient daran mindestens gute Gebühren und Provisionen.

Auch in den USA häufen sich die Klagen, unter anderem vom US-Justizministerium betrieben, gegen die Deutsche Bank. So werden dem Immobilienfinanzierer MortgageIT, einer Tochter der Deutschen Bank, «rücksichtslose Praktiken bei der Vergabe von Hypothekenkrediten» vorgeworfen; Anshu Jain hatte entschieden, MortgageIT zu kaufen. Nun steht die Deutsche Bank am Pranger: Sie habe noch aggressiv faule Hypothekenpapiere verkauft, als sie längst mit Wetten auf das Gegenteil, nämlich den Zusammenbruch des US-Immobilienmarkts, Milliarden gescheffelt habe.

Angesichts dieser massiven Kritik krebste der Deutsche-Bank-Chef in der Öffentlichkeit etwas zurück und spricht inzwischen auch von «der Verantwortung», die seine Bank trage – übrigens meist «gerne». So sagte er Ende November 2011 an der «Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg»: «Wir haben zum Beispiel entschieden, keine Unternehmen mehr zu finanzieren, die unter vielen anderen Produkten auch Streubomben herstellen, auch wenn dies nur ein kleiner Teil ihrer geschäftlichen Tätigkeit ist.» Und an anderer Stelle erläutert er: «Die Erwartungen der Öffentlichkeit gerade an das gesellschaftliche Verantwortungsbewusstsein von uns Banken sind seit der Finanzkrise noch einmal deutlich gestiegen. Wir bei der Deutschen Bank setzen uns mit der Kritik daher intensiv auseinander. So habe ich kürzlich etwa veranlasst, unsere Handelsaktivitäten daraufhin zu überprüfen, ob sie wesentlich zu einem fundamental unbegründeten Anstieg der Nahrungsmittelpreise und damit möglicherweise zu Hunger in der Welt beitragen könnten.»

Während er noch prüfen lässt, gab er zudem kund, dass «wir im vergangenen Jahr weltweit fast hundert Millionen Euro für gesellschaftlich nützliche Projekte aufgewendet» haben. «Wir betrachten das nicht als Karitas, Wohltätigkeit oder Sponsoring, sondern als Beitrag zu einem solidarischen Zusammenleben, als Investition in gesellschaftliches Vertrauen, ohne das wir gerade als Bank nicht nachhaltig erfolgreich sein können.» Da präsentiert sich eine Bank, die genau hinhört, die selbstkritisch an sich arbeitet, die intelligent und eloquent in öffentliche Debatten geht.

Trotz all ihrer politischen Vernetzung und Einflussnahme ist die Deutsche Bank in die Defensive geraten. Und das an zwei Fronten. Die erste: «Wir verfolgen mit grosser Sorge die Initiative um die Einführung einer Finanztransaktionssteuer in der EU oder auch nur in der Europäischen Währungsunion», sagte Ackermann in einer Rede Anfang November 2011 in Paris – und plädierte für eine Politik des Wirtschaftswachstums. Allerdings gab er dabei auch gleich die Richtung vor: Eine weitere Deregulierung im Bereich der Dienstleistungen, eine Liberalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens und «eine weitere Flexibilisierung der Arbeitsmärkte und die Ausweitung des Erwerbspersonenpotenzials würden das Wachstum fördern».

Die zweite ergibt sich aus einer Entwicklung, die zumindest teilweise das Geschäft der Banken und ihren Einfluss untergraben könnte: Schon in den neunziger Jahren haben die Finanzchefs von Grosskonzernen wie Siemens, Bosch, VW oder Daimler damit begonnen, ihre Abteilungen zu eigenständigen Finanzinstituten auszubauen, um vom Banken- und Finanzsystem unabhängig zu werden, selber Finanzgeschäfte zu tätigen, Gewinn zu erwirtschaften und die Finanzierung des eigenen Konzerns günstiger und zuverlässiger zu organisieren. Diese Tendenz hat mit der Finanzmarktkrise seit 2007/2008 noch zugenommen.

Der Kniefall der Medien

Noch ist offen, ob der neue starke Mann diesen Herausforderungen gewachsen ist. Anshu Jain, 1963 in Indien geboren, hat als Investmentbanker zwar viel für die Rendite der Deutschen Bank und die Dividende ihrer AktionärInnen – darunter die Credit Suisse Group – getan, aber auch allerlei Probleme geschaffen, mit denen sich die Bank noch jahrelang herumschlagen muss. Gleichwohl rollten ihm die deutschen Qualitätsblätter bereits den roten Teppich aus.

Geradezu ergriffen schilderten die «Zeit»-Autoren Mark Schieritz und Arne Storn im September 2011 unter der Überschrift «Der Unfassbare», wie Jain und sein Vorstandskollege Fitschen die Entscheidung des Aufsichtsrats im Saal «in Turm A» entgegennehmen, einem der glasverspiegelten Zwillingstürme nahe der Taunusanlage in Frankfurt. Clemens Börsig, der Vorsitzende des Aufsichtsrats, habe sie hereingebeten und verkündet, dass der Aufsichtsrat einstimmig beschlossen habe, sie gemeinsam zu berufen. «Ob sie die Bestellung annähmen, fragt Börsig die beiden Männer. Einzeln. Auf Deutsch. Sie lassen den Kelch nicht vorüberziehen, sie greifen zu. Ja, sagt Jürgen Fitschen. Yes, sagt Anshu Jain.»

Unter Jains Führung sei «die Deutsche Bank zu einem der aggressivsten Investmenthäuser auf dem Globus» geworden, heisst es anerkennend im «Zeit»-Artikel. «Anshu Jain ist einer der erfolgreichsten Banker der Welt. Eine Gewinnmaschine. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank aber ist mehr als der oberste Finanzmann des Landes. Er ist Ansprechpartner der Kanzler und Ratgeber der Konzerne.» Und: Er sei ein Mann, «der die Deutschen überraschen wird – und fordern».

Wer JournalistInnen hat, die vor der heiligen Institution Deutsche Bank so eloquent knien können, der braucht an sich keine ÖffentlichkeitsarbeiterInnen mehr. Im «Handelsblatt» war Anfang Februar Ähnliches zu lesen. Im Mai beginne «ein denkwürdiges Experiment», «bei dem beide Teilnehmer bis an ihre Grenzen werden gehen müssen». Der eine, «Jain, der Händler, muss lernen, dass er künftig zwei Interessen zu dienen hat: dem Interesse seiner Bank und dem jener Nation, die seinem Haus Namen und Heimat gibt». Und «den Deutschen», so geht es schwülstig weiter, müsse zugemutet werden, «dass sie den Anderen als den Ihren akzeptieren». Deutschland und Jain seien enger verbunden, «als es beiden heute bewusst sein dürfte». Denn: «Scheitert Jain, ist auch Deutschland beschädigt.»

Zu diesem Satz passt vorzüglich die Bilanz von Sighard Neckel: «Die Götterdämmerung der Banker hat nicht stattgefunden.» Die Götter sind wiederauferstanden, und die Deutsche Bank regiert weiter.

Die Geschichte der Deutschen Bank : Immer mit dabei

Die Bank wurde als Aktiengesellschaft im Jahr 1870 gegründet mit dem Ziel, die deutsche Wirtschaft verlässlich mit langfristigen Krediten zu versorgen; in der damaligen Phase der industriellen Revolution waren Privatbankiers mit dieser Aufgabe überfordert. Bereits im wilhelminischen Deutschland verkörperte die Deutsche Bank also die enge Verbindung von Wirtschaft und Politik. Keine andere Bank war so sehr mit dem Aufstieg des deutschen Kaiserreichs zur Weltmacht verknüpft – und auch während des Dritten Reichs spielte sie eine wirtschaftlich entscheidende Rolle.

Dies lässt sich an der Person von Hermann Josef Abs gut ablesen, der 1938 in den Vorstand berufen wurde. Die Rolle von Abs – der bis 1967 den Vorstand repräsentierte und bis 1976 Vorsitzender des Aufsichtsrats war – ist noch nicht abschliessend geklärt. Einerseits war er wohl nie NSDAP-Mitglied, andererseits beteiligte er sich am Zwangsverkauf vieler jüdischer Unternehmen. Nach heutigen Erkenntnissen profitierte die Deutsche Bank von mindestens 330 «Arisierungen»; zudem nutzte sie alle Möglichkeiten, um in den besetzten Gebieten zu expandieren und Filialen anderer Banken zu übernehmen. Sie habe «an der Durchführung der verbrecherischen Politik des Naziregimes auf wirtschaftlichem Gebiet teilgenommen», hiess es in einem Bericht von US-Ermittlern nach dem Krieg.

1948 wurde die Deutsche Bank von den Alliierten zerschlagen und im Westen in zehn regionale Institute aufgegliedert; in der DDR wurde sie verstaatlicht. Abs, der von den Briten 1946 für einige Monate in Untersuchungshaft genommen wurde, gelang es nach und nach, diesen Entscheid umzudrehen: 1957 wurde die Deutsche Bank in Frankfurt am Main wieder gegründet – und wurde bald zum Synonym für das «deutsche Wirtschaftswunder». Sie war Dreh- und Angelpunkt der sogenannten Deutschland AG. Der Kern dieses Konstrukts: Die Deutsche Bank war nicht nur die Hausbank von Grosskonzernen wie Daimler oder Mannesmann, sie beteiligte sich auch direkt an deren Geschäftsführung. Abs allein soll in bis zu dreissig Aufsichtsräten gesessen haben.

Ende der achtziger Jahre folgte mit der systematischen Internationalisierung und dem Einstieg ins Investmentgeschäft (also dem Handel mit Aktien, Devisen, Rohstoffen und komplizierten Finanzprodukten) ein Kurswechsel. Heute gilt die Deutsche Bank zwar immer noch als Universalbank, ihre Milliardengewinne macht sie jedoch mit dem Handel auf eigene Rechnung oder im Auftrag von Grosskunden wie Pensionsfonds oder Versicherungen – und der Superreichen.

Wolfgang Storz

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