Denk langsam, lösche schnell

Außer Kontrolle

Nachdem der Artikel zum Opferverein "Mogis" nun schlussendlich gelöscht bleibt, geht die Lösch- oder Aufräumwut bei Wikipedia weiter. Mit teilweise abstrusen Folgen.

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Getroffene Hunde bellen und bei Wikipedia kann man momentan sagen: sie löschen. Nachdem jetzt der "irrelevante Kleinverein" Mogis (Missbrauchsopfer gegen Internetsperren) nach aktueller Faktenlage bei Wikipedia weiterhin irrelevant bleibt und daher kein Eintrag zu ihm Bestand hat(te), ist das Thema Netzsperren/Stasi 2.0/Zensursula wohl so interessant/nervend geworden, dass da einige Damen und Herren allem Anschein nach gleich nach dem Gießkannenprinzip löschen, zur Neubearbeitung sperren und Links herausnehmen.

Die genauen Abläufe kann man bei Fefe nachlesen, aber wer innerhalb eines Artikels zum Thema Netzsperren nun auch die Links zu beispielsweise Odem.org herauslöscht mit der Begründung, man solle bei "Links zu Organisationen unbekannter Relevanz erst einen Artikel zu dem Thema schreiben", der hat wohl die letzten Jahre mit dem Kopf auf der Löschtaste geschlafen. Anstatt gleich reflexhaft in den Artikeln rumzupuzzeln und den Relevanzbegriff weiterhin arrogant/ignorant zu nutzen, hätte man ja auch mal nachschauen kann - nein, nicht bei Wikipedia, da steht ja nichts. Aber z.B. hier bei Telepolis, wo es heißt: "Mit seiner Initiative Odem.org hat Alvar Freude viel Medienaufmerksamkeit erhalten - und bisher über 6.300 Unterschriften Unterschriften gegen Zensur." Wer Odem als irrelevant oder unklar relevant bezeichnet, der scheint wenig geeignet dafür, beim Thema Netzsperren, welches von Alvar Freude und dessen Odem nun seit Jahren behandelt, kritisiert und bearbeitet wird, wirklich mitzureden.

Es bedarf einer kurzen Recherche bei der Suchmaschine der Wahl, um zu erfahren, um wen es sich bei Odem.org handelt und wie aktiv diese Organisation schon seit Jahren ist, wenn es um Informationsfreiheit und Netzsperren geht.

Bei "Trotz allem" die Relevanz nicht zu erfassen - nämlich, dass dieser Verein neben "Mogis" wichtig war und ist, um zu zeigen, dass nicht alle Opfer sexueller Gewalt automatisch mit Frau von der Leyen übereinstimmen - ist mehr traurig als wirklich dumm.

Die Logik: "Schreibt halt erst einen Artikel über die Vereinigung mit unklarer Relevanz" funktioniert nicht mehr, wenn zunehmend der Eindruck entsteht, dass die Relevanz von Begriffen, Personen, Vereinigungen usw. entweder ohne jedes Fachwissen entsteht oder aber ausgewürfelt wird. Wer sollte da noch Lust haben, einen Artikel zu schreiben, nur damit es dann lapidar heißt "keine Relevanz" und die ganze Arbeit im Mülleimer landet, während in epischer Breite die Klingonische Sprache erläutert wird.

Dass auch die "Schäublone" und "Zensursula" höchstens eine kurze Erwähnung im Artikel Stasi 2.0 erfahren, verwundert da schon nicht mehr.

Nicht nur momentan (doch momentan besonders deutlich) agiert man bei Wikipedia wie die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, die lediglich ihren eigenen Geschmack bzw. ihre eigene (begrenzte) Weltsicht als Prüfkriterium für Entscheidungen nutzt. Wie auch die BPfjM, die einfach sagt: "Das ist keine Kunst weil es keine Kunst ist", so sagt Wikipedia: "Das ist irrelevant, weil es irrelevant ist." Aber jeder entblößt sein Wissen bzw. den Mangel dessen eben so gut, wie er kann. Mit dem Kommentar, bei Odem sei die Relevanz nicht klar, wurde jedenfalls schön demonstriert, wie wenig (Fach)Wissen notwendig ist, um sich bei einem Thema zu betätigen...