Politik

Strengere Vorgaben: PVS-Wechsel soll deutlich leichter werden

  • Dienstag, 14. Mai 2024
/picture alliance, dts-Agentur
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Berlin – Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) will die rechtlichen Vorgaben für Anbieter von Praxisver­waltungssystemen (PVS) massiv verschärfen. Unter anderem soll ein reibungsloser Wechsel des PVS verbind­lich werden, Arztpraxen sollen einen Rechtsanspruch auf Schadenersatz erhalten, wenn ihnen dadurch Kosten entstehen. Künftig soll eine aufgewertete Gematik auch die Nutzerfreundlichkeit der PVS zertifizieren und Bußgelder gegen Anbieter von Diensten in der Telematikinfrastruktur (TI) verhängen können.

Das geht aus dem Entwurf eines Gesetzes zur Schaffung einer Digitalagentur für Gesundheit (Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz, GDAG) hervor, der dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt. Im Kern definiert der Entwurf den Umbau der bisherigen „Gesellschaft für Telematik (Gematik GmbH)“ in eine „Gematik – Digitalagentur Gesund­heit“, die mit deutlich mehr Kompetenzen ausgestattet sein und hoheitliche Aufgaben übernehmen soll.

Dabei widmet sich der Entwurf aber auch ausführlich der Regulierung von PVS und sieht Regelungen vor, die den Wechselprozess verbessern und sicherstellen sollen, dass Ärztinnen und Ärzte auch nach einem Wechsel ihren Dokumentations- und Archivierungspflichten im umfänglichen Maße nachkommen können. Gleiches soll für das Recht der Versicherten zur Herausgabe der Daten in einem interoperablen Format gelten.

„Kommt der Hersteller seiner Verpflichtung nicht nach, Daten im interoperablen Format dem Leistungser­bringer zur Verfügung zu stellen, so hat letzterer das Recht auf Ersatz des ihm entstandenen Schadens“, heißt es in dem Entwurf.

Die Schadenshöhe beziehe sich dabei auf die tatsächlich entstandenen Kosten, die beispielsweise durch die Inanspruchnahme externer Dienstleistungen bei der Datenmigration entstanden sind, oder für notwendige Maßnahmen zur Archivierung von Daten sowie den lokalen Abzug von Daten auf einen Cloudanbieter.

Dabei sollen auch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) tätig werden: Ihnen soll die Möglichkeit gege­ben werden, weitere Angebote rund um die Digitalisierung anzubieten, die explizit auch eine allgemeine PVS-Wechselberatung beinhalten. Darin könnte erläutert werden, welche Schritte für einen PVS-Wechsel notwen­dig sind und womit dabei zu rechnen ist.

Auch kriterienbasierte Vergleichsmöglichkeiten hinsichtlich wesentlicher Produkteigenschaften wie Nutzer­freundlichkeit und Kostenstrukturen seien möglich, „um Leitungserbringenden fundierte Modernisierungsent­scheidungen ihrer Praxen zu ermöglichen“.

Kompetenzzentrum für Interoperabilität

Zudem soll die Gematik weitere Kompetenzen zur Zertifizierung von PVS erhalten. Mit Inkrafttreten des Digi­tal­gesetzes (DigiG) war bereits ein einheitliches Konformitätsbewertungsverfahren zur Überprüfung der Inter­operabilitätsanforderungen eingeführt worden, das die Koordinierungsstelle für Interoperabilität bei der Ge­matik durchführt. Durch das Gesetz soll die Koordinierungsstelle zu einem Kompetenzzentrum für Interopera­bi­lität ausgebaut werden und ebenfalls neue Zuständigkeiten erhalten.

Durch die neu zugewiesenen Aufgaben solle sichergestellt werden, dass informationstechnische Systeme in der Versorgung „nicht nur auf der technischen, semantischen und syntaktischen Ebene miteinander kommuni­zieren können, sondern auch bestimmungsgemäß in der Praxis von Anwendern nutzbar sind“.

Es sei das Ziel, die Konformität der informationstechnischen Systemen mit allen relevanten Anforderungen sicherzustellen, „sodass im Konkreten mit Blick auf die qualitativen und quantitativen Funktionalitäten ge­währleistet werden kann, dass Leistungserbringende zukünftig nur noch solche Systeme nutzen, die zum Beispiel eine ausreichende Leistungsfähigkeit aufweisen und mit denen somit sichergestellt ist, dass Leis­tungserbringende zum Beispiel die ePA [elektronische Patientenakte, Anm.d.Red.] ihrer Patienten reibungslos und effizient bedienen können“.

In einem Zertifizierungsverfahren soll das Kompetenzzentrum – oder eine akkreditierte Stelle, die es beauf­tragt hat – bestätigen, dass ein informationstechnisches System nicht nur hinsichtlich der Interoperabilität, sondern auch bezüglich qualitativer und quantitativer Funktionen die Spezifikationsfestlegungen der Gematik erfüllt.

Das Zertifikat soll dann auf der Plattform des Kompetenzzentrums veröffentlicht werden. Ziel ist es, dadurch eine Transparenz über die Leistungsfähigkeit und Benutzerfreundlichkeit der PVS herzustellen. Erfüllt ein Hersteller die Vorgaben nicht, erhält er kein Zertifikat.

„Zur Gewährleistung der Interoperabilität und Standardisierung sowie Erhöhung der Qualität informations­technischer Systeme dürfen diese zukünftig nur dann auf dem Markt gehalten werden, wenn sie nicht nur den Interoperabilitätsanforderungen (IOP) entsprechen, sondern auch die weiteren Anforderungen bezüglich der qualitativen und quantitativen Funktionen erfüllen“, heißt es weiter im Gesetzentwurf.

Dabei soll die Digitalagentur Gesundheit verantwortlich sein für die eineindeutige Definition des Anwen­dungs­bereichs in Bezug auf die verbindlichen Anforderungen, die sich aus einer Spezifikation ergeben und die zur verpflichtenden Umsetzung festgelegt wurden.

Das soll auch gelten, wenn wesentliche Änderungen an Bestandssystemen vorgenommen werden, die nicht nur die Interoperabilität, sondern auch die Anforderungen an qualitative und quantitative Funktionen betreff­en. Dann ist eine erneute Konformitätsprüfung erforderlich, die aber möglicherweise in einem modifizierten Fast-Track-Verfahren durchgeführt werden könnte.

Die Einhaltung all dieser Anforderungen sei „entscheidend für eine nahtlose Integration von PVS und effekti­ven Austausch von Gesundheitsdaten, wodurch die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessert wird hin zu einer modernen und datengetriebenen Medizin“, heißt es weiter. Welche Standards genau für die Benutzer­­freundlichkeit gelten, soll die Gematik selbst festlegen, dabei aber bestehende Standards wie DIN-Normen beachten.

Zudem habe sich in der Vergangenheit gezeigt, dass Anbieter die verbindlichen Anweisungen der Gematik zur Beseitigung oder Vermeidung von Störungen der TI nicht immer befolgten. Doch die Gematik habe keine Möglichkeit gehabt, Anweisungen zwangsweise durchzusetzen. Ausfälle von Komponenten und Diensten und Sicherheitsrisiken hätten deshalb nicht so zeitnah behoben werden können, wie es erforderlich sei, um die Sicherheit und Funktionsfähigkeit der TI zu gewährleisten.

Bußgelder für PVS-Anbieter

Auch hier will das BMG nachsteuern: Es will der Gematik die Möglichkeit einräumen, eine Nichtbefolgung der verbindlichen Anweisungen durch Anbieter mit Bußgeldern zu ahnden und so sicherzustellen, dass die An­wei­sungen befolgt werden. Das werde dazu beitragen, die TI als sichere digitale Plattform im Gesundheitswesen für den Austausch sensibler Gesundheitsdaten zu stärken.

Außerdem soll die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) zukünftig eine zentrale und für einen direkten Datenabruf nutzbare einheitliche Schnittstelle zur Verfügung stellen, über die die für die Erstellung der Ab­rechnung von ärztlichen Leistungen notwendigen Stammdaten der Gebührenordnung und die für die Ab­rechnung von Verträgen erforderlichen Daten bereitgestellt und automatisiert abgerufen werden können.

Bisher stellen KBV und KVen die Stammdaten der Gebührenordnung über eine webbasierte Plattform zur Verfügung. Die Stammdaten müssen deshalb manuell abgerufen und aufwendig aufbereitet werden, was zu hohen Implementierungsaufwänden und zeitlichen Verlusten führe. „Mit der neu zu schaffenden zentralen Schnittstelle werden diese Schwierigkeiten adressiert sowie Kosten eingespart“, verspricht der Entwurf.

Das Nähere zu der Schnittstelle soll die KBV mit dem GKV-Spitzenverband bis spätestens sechs Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes vereinbaren und die Schnittstelle spätestens zwölf Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Verfügung stellen.

Konzept für Weiterentwicklung der ePA bis 2026

Zudem soll die Gematik die kontinuierliche konzeptionelle Weiterentwicklung der ePA hin zu einem persönli­chen Gesundheitsdatenraum, der eine datenschutzkonforme und sichere Verarbeitung strukturierter Gesund­heitsdaten ermöglicht, durchführen. Dazu soll sie dem BMG bis zum 1. Juli 2026 ein Umsetzungskonzept vor­legen.

Der GKV-Spitzenverband soll wiederum unter Beteiligung des BMG und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Aushändigung der ärztlichen Arbeits­unfähigkeitsbescheinigung – einschließlich der Arbeitgeberausfertigung – durch ein geeignetes elektroni­sches Äquivalent dazu mit gleich hohem Beweiswert in der ePA abgelöst werden kann. Dazu soll der Verband einen Vorschlag vorlegen.

Generell soll die Gematik künftig weiterhin die Entwicklung und Bereitstellung digitaler Anwendungen steu­ern, dabei aber unterschiedliche Rollen einnehmen können. So soll sie Komponenten und Dienste, die zentral und nur einmalig vorhanden sein können, in eigener Verantwortung entwickeln und betreiben dürfen. Anwen­dungen mit einer Vielfalt von Angeboten und der Möglichkeit von Wettbewerb würden von ihr spezifiziert, aber in unterschiedlichen Abstufungen vom Markt entwickelt.

„Komponenten, Dienste und Anwendungen, die das Rückgrat der digitalen Gesundheitsversorgung bilden, können in einem kontrollierten Marktmodell über Ausschreibungsverfahren von der Digitalagentur Gesund­heit beschafft und bereitgestellt werden“, heißt es weiter.

„Diese Angebotsbündelung und die damit einhergehenden vertraglichen Steuerungsmöglichkeiten der Digi­talagentur Gesundheit werden die Qualität, die Wirtschaftlichkeit und die zeitgerechte Bereitstellung der Pro­dukte entscheidend verbessern sowie die Stabilität des Gesamtsystems durch reduzierte Komplexität erhö­hen.“

Es habe sich in der Vergangenheit gezeigt, dass die bisherige Struktur im reinen Marktmodell aufgrund einer Vielzahl an unterschiedlichen Komponenten, Diensten und Anwendungen ein hohes Maß an Komplexität erzeugt habe, heißt es im Entwurf. Das habe sich negativ auf Betriebsstabilität und Servicequalität ausge­wirkt.

Durch die neue Berechtigung, nicht nur Betriebsleistungen für die zentrale Infrastruktur, sondern auch die Entwicklung und den Betrieb von Komponenten und Diensten der TI sowie von ausgewählten Anwendungen ausschreiben zu können und den TI-Nutzenden zur Verfügung stellen, solle „das Zulassungsmodell zu einem sogenannten Provider-Modell geschaffen werden“. Die Gematik übernehme dann „eine steuernde Rolle in einem kontrollierten Wettbewerbsumfeld“.

Dabei werde der Gematik ein Ermessen eingeräumt, hinsichtlich welcher Komponenten, Dienste und Anwen­dungen sie am derzeitigen Zulassungsmodell festhalten will und welche Komponenten, Dienste und Anwen­dungen über Vergabeverfahren beschafft werden sollen. Im Falle einer Entscheidung für eine zentrale Verga­be sei das Einvernehmen des BMG erforderlich.

Die KBV begrüßte es heute in einer ersten Reaktion, dass die Digitalagentur in die Lage versetzt werden soll, Maßnahmen mit dem Ziel umzusetzen, die Stabilität der Telematikinfrastruktur zu erhöhen. „Das ist dringend notwendig, da es immer noch viel zu viele Ausfälle und Störungen zu verzeichnen gibt“, sagte KBV-Vorstands­mitglied Sibylle Steiner.

Auch, dass die Gematik künftig qualitative und quantitative Anforderungen an die PVS definieren soll, treffe auf Zustimmung: „Das fordern wir bereits seit längerem und ist nun im Entwurf aufgegriffen worden.“

Bei den Ermächtigungen müsse allerdings kritisch hinterfragt werden, welche Rolle die ärztliche und psycho­therapeutische Selbstverwaltung spielen werde, mahnte sie an. „Die niedergelassenen Kolleginnen und Kolle­gen wissen am besten, welche Erfordernisse entscheidend sind, damit digitale Prozesse die Arbeit in den Praxen wirklich erleichtern.“

lau/bee

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